Close
Home » Kategorien » Interviews » Achtung: Klartext statt Blabla – die Gewinner & Verlierer der Tour de France 2017!

Achtung: Klartext statt Blabla – die Gewinner & Verlierer der Tour de France 2017!

by Daniel

Sind wir doch mal ehrlich: Wenn es darum geht, die Leistungen der Radprofis bei der Tour de France zu bewerten, tendieren viele „Offizielle“ schnell zum Weichspülgang. Klare, harte, aber nichtsdestotrotz faire Analysen sind eher die Ausnahme. Mit Velon-Experte Philipp Diegner sprach ich ganz nonchalant, und auch ein ganz bisschen undiplomatisch, über die Fahrer und Teams, die uns in den vergangenen drei Wochen total begeistert, aber auch sehr enttäuscht haben. 

Tour de France 2017

«Der Enthusiasmus für den Briten (Chris Froome) ist proportional zur Zahl seiner Siege immer weiter zurückgegangen. 2017 hat er nun Minimalwerte erreicht, während diese Frankreich-Rundfahrt als Tour der kleinen Dinge und der inexistenten Attacken betitelt werden könnte.»

Die 104. Tour de France ist Geschichte. Bumm. Das war’s. Chris Froome gewinnt zum vierten Mal das wichtigste Radrennen auf der Welt – und mal wieder hat es, so sehe ich das zumindest, keinen so richtig vom Hocker gerissen. Kontrollierte Offensive statt Vollgasveranstaltung. Obiges Zitat der spanischen Zeitung „El País“ trifft den Kampf um Gelb ziemlich gut.

Klar, es gab ein paar Ausnahmen, wie Marcel Kittels grandiose Sprintsiege, die kolumbianische Hoffnung Rigoberto Uran – was immer sich seine Eltern bei dem Vornamen gedacht haben – und natürlich die Wiederauferstehung von Warren Barguil vom Krankenbett Ende April – äußerlich nah an einem Skispringer eroberte er mit beherzten Auftritten die Herzen der Franzosen und weltweiten Fans – wie sein Team Sunweb. Nach dem Sieg beim Giro ganz klar die Gewinner in 2017. Dass sie wiederum in Deutschland medial kaum präsent sind, verwundert doch sehr – schließlich ein Team mit deutscher Lizenz, was immer sich Spekenbrink dabei wohl gedacht hat?!

So, genug der Einleitung.

Die Tour de France und all ihre Geschehnisse und Nicht-Geschehnisse dürften den meisten von Euch bekannt sein. Jeder hat sich ein Bild gemacht. Manche werden verzückt sein, bei einigen anderen drückt der Schuh. Ich würde jetzt gerne mal über die letzten drei Wochen sprechen. Was gefiel gut, was ging auf die Nüsse und was macht Hoffnung für nächstes Jahr bei der 105. Ausgabe?

An der Stelle macht es eine Menge Sinn mit meinem Buddy Philipp Diegner zu sprechen. Er ist einer der wenigen im Profizirkus, die sich wirklich auskennen.

Warum?

Weil Philipp für Velon in UK arbeitet und exklusive Einblicke in die Leistungswerte der Profis erhält. Er weiß wie der Hase läuft. Velon will den Radsport-Profizirkus langfristig verändern und attraktiver machen. Durch mehr Transparenz bei Leistungswerten und Livedaten – mehr Infos für die Radsportfans und somit sehr, sehr interessante Einblicke in das Peloton. Dafür haben die Radprofis ein kleines „Kästchen“ unterm Sattel, das die Daten an Velon übermittelt.

Was leisten die besten Radprofis wirklich, um ganz vorne dabei zu sein? Bzw. wie schnell muss der Hase laufen, damit er nicht vom Fuchs erwischt wird?

Wir haben gestern telefoniert und mal – ganz ohne Agenda – über die letzten drei Wochen gesprochen. Kein Phrasengedresche, kein Blabla und Weichgespüle – stattdessen 90° und das volle Programm.

Tour de France 2017 Analyse mit Philipp Diegner

Ein von @bastien_hbrs geteilter Beitrag am

Wie waren die letzten 3 Tourwochen für dich?
Auf der einen Seite war es schon eine spannende Tour, da waren auch ein paar wenige tolle Etappen dabei, aber generell hat sie mich vom allgemeinen Rennverlauf her dann doch etwas unbefriedigt hinterlassen. Die Aktionen und die Spannung in den meisten Etappen waren dann doch nicht so richtig packend.

Ok, der Kurs war ja eigentlich sehr abwechslungsreich oder nicht? Hätte also für einiges an Action sorgen können/sollen…
War er das wirklich? Letztendlich gab es sehr viele, sehr lange Etappen – bis auf eine Ausnahme waren auch alle Bergetappen sehr lang, sie hatten so um die fünf bis sechs Stunden Fahrzeit. Dadurch sind die Rennen sehr kontrolliert gefahren worden. Nur in den letzten 30-60 Minuten gab es dann die Aktionen – am Ende fehlte mir einfach die Abwechslung. Das Szenario, das sich abgespielt hat, war schlussendlich fast immer das gleiche.

Die Aktionen und die Spannung in den meisten Etappen waren dann doch nicht so richtig packend.

Welches?
Man lässt eine Gruppe gehen, auf den Flachetappen eine ganz kleine, die die Sprinterteams gut kontrollieren können. Bei den Bergetappen auch größere, natürlich ohne gefährliche Fahrer drin. Dann kontrolliert Team Sky das Tempo bis zum letzten Berg, wo das Tempo richtig angezogen wird. Es gehen nur noch die mit, die können, und auf den letzten Kilometern wird es dann ausgesprintet.

Da hast du durchaus Recht.
Dadurch gab es auch nicht die großen Abstände. In meinen Augen wurde das durch die Kursplanung künstlich hergestellt, ohne das es jemals richtig spannend wurde. Der einzige wirkliche Showdown war die 12. Etappe, die erste Etappe in den Pyrenäen…

Mit der steilen Rampe am Schluss?
Genau, als Froome leicht geschwächelt hat. Aber diese Etappe war das perfekte Beispiel dafür, dass sich während der Etappe eigentlich wenig oder sogar gar nichts abgespielt hatte. Sky hatte immer recht viele Fahrer vorne dabei, dadurch hat sich keiner der anderen getraut, etwas zu versuchen – so passierte erst etwas auf den letzten 500 Metern. Die Etappe war aber fast sechs Stunden lang und führte über einige tolle Pässe.

Stimmt. Du sagst, es wäre eigentlich die Tour für einen Valverde gewesen – einen echten Allrounder.
Das stimmt. Er wird ja mit zunehmendem Alter, so richtig seit Ende seiner Dopingsperre, immer besser, vor allem an den längeren Anstiegen. In meinen Augen war er noch nie so gut wie in diesem Jahr. Zudem gab es 2017 sehr wenig Zeitfahrkilometer, wo er Zeit auf Froome und Co. verloren hätte. Ich glaube auch nicht, dass er in den langen Anstiegen groß Zeit verloren hätte, hier wurde ja wie gesagt meist noch sehr kontrolliert gefahren. Vollgas sah man an den kürzeren, sehr steilen Rampen – wie bei der 13. Etappe, die ca. 100 km lang war. Und so etwas liegt wiederum einem Valverde sehr. Oder auch am Tag zuvor, die 12. Etappe als Bardet gewann, mit diesem steilen Schlussanstieg.

Naja, und am Schluss in den Alpen war das Tempo nicht so hoch wie teils in den Vorjahren. Für mich schwer vorstellbar, dass Valverde da viel Zeit verloren hätte.

Wer waren für dich die Gewinner der TDF 2017?
Wenn man über die Gewinner spricht, kommt man in diesem Jahr um Warren Barguil auf keinen Fall herum. Ende April brach er sich die Hüfte und fährt knapp zwei Monate später bei der Tour de France in die Top 10, gewinnt das Bergtrikot und zwei Etappen. Wenn man die 5. Etappe und die 12. Etappe mal rausnimmt, in denen er insgesamt ca. 7 Minuten verloren hat, dann war er in Summe der stärkste Fahrer bei den Bergetappen.

Natürlich sind Froome mit seinem vierten Toursieg und die beiden anderen auf dem Podium, Bardet und Uran, auch als Gewinner einzuschätzen. Bei dem Starterfeld in diesem Jahr hätte man nicht unbedingt damit gerechnet, dass genau diese beiden dann am Ende dort stehen. Vor allem Uran!

Wen hattest du denn sonst auf dem Zettel für das Podium?
Froome, Porte, Aru und auch Quintana hatte ich auf dem Zettel. Gerade Quintana, bei dem das Team groß angekündigt hatte, dass er deutlich stärker sei als noch beim Giro. Das hat am Ende, wie wir alle wissen, dann aber nicht so gut funktioniert.

Ein anderer Gewinner muss aber auch noch Marcel Kittel aka Dolph Lundgren sein?
(lacht) Das auf jeden Fall. Kittel hat ganz klar gezeigt, dass er im reinen Sprint zurzeit unschlagbar ist. Schwer zu sagen, was Cavendish in den reinen Sprints noch hätte ausrichten können. Von den echten Sprintern ist Kittel zurzeit jedenfalls der klare König.

Wer sind die Verlierer bzw. die Fahrer, die deine Erwartungen nicht getroffen haben?
Ja, wenn wir von den Sprintern sprechen, muss ich bei dem Punkt leider André Greipel nennen, wie auch John Degenkolb. Insbesondere bei Greipel hatte man schon beim Giro gesehen, dass ihm oftmals einfach die richtige Position fehlt, er muss dann entweder zu früh oder zu spät sprinten und dann haut es in diesem Jahr leider einfach nicht hin. Wobei man auf der letzten Etappe gesehen hat, dass die Endgeschwindigkeit, die reine Power, noch da ist. Er wäre ja fast noch an Groenewegen vorbeigekommen, wenn das Ziel etwas später gewesen wäre.

Du glaubst, dass Greipel zurzeit eher ein Positionsthema, als ein Leistungsthema hat?
Es scheint so. Man sieht, wie er zu häufig von zu weit hinten kommt, vielleicht muss er zu viel investieren, um nach vorne durchzukommen. Bei den Quick-Step-Sprintern, Gaviria beim Giro und Kittel jetzt bei der Tour, sieht das deutlich besser aus. Eine viel bessere Abstimmung als zurzeit beim Lotto-Soudal Team.

Tour de France 2017

(c) Philipp Diegner

Hast du noch einen Gewinner neben den eben genannten?
Landa hat seinen Marktwert enorm gesteigert, ganz klar. Aber auch Fahrer wie Meintjes von UAE Emirates, Fabio Aru oder Dan Martin haben gezeigt, dass sie ganz vorne mitfahren können, da fehlt es nur noch an ein paar Kleinigkeiten. Die Unterstützung eines Teams oder die Zeitfahrleistung.

Glaubst du, dass es von Landa und Sky auf der 13. Etappe so geplant war, als Landa vorne mit ausriss?
Das wurde ja sehr kontrovers diskutiert und Team Sky hat ganz klar gesagt, dass es so geplant war – dass man mit Landa und Froome zwei Karten gespielt hat und die anderen Teams dann die Verfolgung übernehmen mussten. So konnte Froome ja energiesparend mitfahren. Es war einer der wenigen Etappen, in der Sky das Tempo nicht kontrollieren musste.

Es kann natürlich sein, dass Sky es im Nachhinein so verkauft hat, wirkte auf mich aber schon wie ein kluger Schachzug.

Landa hat das natürlich dankend angenommen. Für mich war er neben Barguil auch der stärkste Fahrer am Berg. Wobei sein sehr ruhiger Fahrstil auch darüber hinweg täuscht, dass er am Limit ist. Gerade bei der 18. Etappe zum Col d’Izoard, als er 10-15 Sekunden weggefahren war, da hat man schon gesehen, dass ihm die Puste ausging, als die anderen wieder rankamen. Seine Zeitgewinne, die von der 13. Etappe, sind auch darauf zurückzuführen, dass er eben die taktische Karte war, die dann gespielt wurde.

Bei Greipel hatte man schon beim Giro gesehen, dass ihm oftmals einfach die richtige Position fehlt, er muss dann entweder zu früh oder zu spät sprinten und dann haut es in diesem Jahr leider einfach nicht hin.

Interessant mit Daniel Martin. Für mich ein klassischer Typ Publikumsliebling. Sieht nicht besonders ästhetisch aus, kämpft wie ein Ochse und gibt nie auf. Den muss man einfach lieben…
(lacht) Ja, gut beschrieben. Er macht taktisch auch den einen oder anderen Fehler, er setzt sich hin und wieder an den falschen Punkten an die Spitze oder attackiert einfach zu früh, weil er sich nicht mehr zusammenreißen kann.

(Müssen beide lachen..)
So etwas macht ja auch einen Publikumsliebling aus.. Aber im Ernst: Er muss einfach mal was am Zeitfahren tun. Andere Fahrer mit seiner Statur haben das auch schon besser hinbekommen. Bei der ersten Etappe verliert er fast eine Minute und beim letzten Zeitfahren in Marseille nochmal eineinhalb Minuten – das ist dann einfach ein Problem, wenn du im GC vorne mitfährst. Letztendlich hat er seine Zeit fast nur auf der Windkante und im Zeitfahren verloren.

Ähnlich wie Bardet, der knapp zwei Minuten in Marseille verloren hat…
Ja, das war schade. Für mich ganz ehrlich eine der enttäuschendsten Tagesleistungen bei dieser Tour. Es ist schwer zu sagen, wie weit das jetzt ein Nervositätsthema, ein Problem der Technik, Position oder der Müdigkeit war. Das sah an dem Tag einfach nicht mehr gut aus bei ihm. Insgesamt schade für dieses Team – die haben Jahre rein investiert, um einen Fahrer wie ihn zum Siegfahrer bei einer Tour zu machen – und wenn das dann am Ende auf 20 km alles zunichte gemacht wird, und auch nicht professionell aussieht, das ging klar in die falsche Richtung.

Ein von @romainbardetfrance geteilter Beitrag am

Aber wo wir noch von den Gewinnern reden, für mich war das Team AG2R, welches ja eher eins der kleineren Teams ist, eins der ganz klaren Gewinner-Teams. Schön zu sehen, wie sie im Rennen aufgetreten sind und öfter die Initiative ergriffen haben, das Rennen belebt haben – andere Teams mit viel mehr Budget haben das dieses Jahr und auch in der Vergangenheit so nicht hinbekommen. Das war schon echt klasse.

Die haben gute Fahrer eingekauft, wie Oliver Naesen oder Jan Bakelandts, sich eine gute Strategie überlegt. Und wenn das dann bei so einem kurzen Zeitfahren fast noch mit dem Podium scheitert, das fand ich für das Team einfach schade.

Wer sind denn deine Verlierer bei der Tour? Quintana?
Ja, Quintana auf jeden Fall. Am ersten Tag verliert das Team schon Valverde. Und Quintana erreichte nicht annähernd seine normale Leistungsfähigkeit. Da muss man sich schon teamintern fragen, was da schiefgelaufen ist, wenn man einen der talentiertesten Kletterer der letzten 10-15 Jahre so zur Tour bringt und vorher noch behauptet er sei so gut in Form – da passt irgendwas nicht zusammen.

Er war ja in den Bergen auch komplett weg vom Fenster…
Mit Blick auf die Leistungsdaten an den wichtigsten Anstiegen kann man abschätzen, was Quintana im Vergleich zur Konkurrenz geleistet hat. Und an die 6w/kg vom Giro in den entscheidenen Momenten kam er nur an der relativ kurzen Steigung nach La Planche des Belles Filles während der 5. Etappe überhaupt heran. Das weiß man als Team ja vorher, dass er nicht so gut drauf war. Ihn dann so zur Tour zu schicken – vorausgesetzt, er war nicht krank – das war in meinen Augen einfach nicht richtig und hat keinem geholfen. Ein strategischer Fehler von Movistar.

Kann seine Giro Teilnahme nicht dafür verantwortlich sein?
Wie stark sich das auswirkt, ist sehr schwierig zu sagen. Das Double wurde in den letzten Jahren ja mehrfach versucht, vor allem von Alberto Contador. Ein solch krasser Einbruch wie von Quintana war bei ihm aber nicht zu beobachten.

Spontan fällt mir Contador in 2011 ein, als er beim Giro an seinem Zenit war und mit der Konkurrenz gespielt hat. Bei der Tour wurde er dann aber „nur“ Fünfter, weil er in den Bergen nicht ganz ans Limit gehen konnte. Ich glaube schon, dass man es mit sehr intelligentem Training, der richtigen Ruhezeit und dem richtigem Maß an medialen Auftritten gut hinbekommen kann. Viel eklatanter als bei Quintana war es aber noch bei Thibaut Pinot. Es lag aber sicher auch daran, dass der Giro in diesem Jahr so intensiv war, die Fahrer auch mental sehr ausgelaugt waren.

Wer waren weitere Verlierer für dich?
Das gesamte BMC Team und auch Richie Porte, wobei der Sturz natürlich großes Pech war. Wenn man sich aber die Konkurrenz anschaut – Froome war nicht auf dem Level der Jahre zuvor – dann war es in diesem Jahr wohl die große Chance für Porte, die Tour zu gewinnen. Das Rennen wäre also komplett anders gelaufen, wenn er dabei gewesen wäre. Vom Team Orica hat man auch nicht so viel gesehen, wie man das vielleicht gehofft hätte, Simon Yates gewinnt zwar das weiße Trikot, ist aber allgemein so unauffällig wie der Rest des Teams.

Was ist mit Chaves?
Der hatte leider Verletzungsprobleme, in der gesamten Saison und hat, meine ich, nur zwei Rennen bestritten. Für ihn war die Tour wohl auch ein Formaufbau für die Vuelta.

Und dann muss man auch das Team Trek-Segafredo ansprechen. Mollema hat zwar eine tolle Etappe gewonnen – Contador liegt am Ende in der Gesamtwertung aber knapp neun Minuten zurück und wirkte in Summe nie, als könne er um den Sieg mitfahren.

Ein paar Mal hat es aber noch bei ihm gezuckt…
Ja, bei einzelnen Anstiegen, wie seine Attacke auf der 17. Etappe, da hat man seine alte Klasse nochmal gesehen. Oder auch der Fakt, dass er der Schnellste am Berg beim letzten Zeitfahren war. Das Team Trek ist vielleicht auch nicht das richtige Umfeld für ihn, um solch eine große Rundfahrt zu gewinnen, da fehlt es vielleicht an Substanz im gesamten Team. Auch taktisch und organisatorisch kann Trek in meinen Augen nicht mit Teams wie Sky oder Quick-Step mithalten.

Ist Trek vielleicht auch nicht das richtige Umfeld für John Degenkolb?
Wenn man sich das Aufgebot einmal anschaut, dann sind da weder die Spezialisten, die für Degenkolb einen richtigen Zug aufbauen können, noch hat Trek die starken Bergfahrer – Mollema mal ausgenommen, der selbst in die Top 5 fahren kann. Aber wer sonst sollte Contador in den Bergen groß unterstützen können? Wenn man sich das Aufgebot anguckt, dann hatte man nicht den Eindruck, dass Trek wirklich um den Toursieg mitfahren wollte.

Du meinst vor allem die Helfer?
Ein Gogl, der ein tolles Talent ist, ein Irizar und Zubeldia, die kannst du nun mal leider nicht mehr mit Kwiatkowski, Nieve oder Sergio Henao bei Sky vergleichen. Das ist einfach nicht das Gleiche.

Wenn man dann noch einen Pantano hat, der leider nicht in Topform ist – wie soll das Team dann Degenkolb im Flachen oder Contador in den Bergen dabei helfen, um die Siege mitzufahren?

Schade mit Degenkolb. Dieses Jahr hat das letzte Prozentchen gefehlt. Woran liegt es?
Leider wirkt er nicht wie der alte Degenkolb bei Giant–Alpecin (jetzt Sunweb). Er ist nicht mehr so aggressiv, auch nicht mehr so stark in diesen „gemischten“ Etappen wie früher – als Beispiel sieht man, dass Matthews, ein ähnlicher Fahrertyp, in den Bergen noch einigermaßen mitfahren kann und gleichzeitig bei den Sprints vorne dabei ist. So wie Sagan, die vielseitigen Sprinter, was aus meiner Sicht ja auch die Spezialität von John Degenkolb ist. Und derzeit ist er weder in den reinen Sprints ganz vorne dabei, noch in den anspruchsvolleren Rennen. Da spielt das Team natürlich auch eine große Rolle. Hier siehst du einen krassen Unterschied zu einem Team wie Sunweb. Da läuft es zurzeit einfach rund, man gewinnt den Giro, die Stimmung ist entsprechend super, alle Fahrer ziehen an einem Strang und wollen auch bei der Tour was zeigen – das wirkt bei Trek einfach nicht so.
Wenn man dann vielleicht nur bei 98% ist, dann kann das leider nicht funktionieren.

Hat dich noch ein Fahrer/Team enttäuscht? Verlierer ist ja vielleicht ein zu böses Wort…
Ja, das Team und die individuellen Fahrer bei Katusha. Auch ein sehr schwieriges Thema mit Kristoff. Da gab es wohl die eine oder andere Reiberei im Vorfeld, er hat nicht genug trainiert, wog ggf. etwas zu viel und das wird in den Medien breitgetreten. Bei Katusha läuft es nicht rund derzeit. Auch von Rick Zabel hat man dann bei der Tour nicht viel gesehen – vor der Tour hat er ja einige tolle Leistungen abgeliefert Natürlich schwierig, wenn deine Kapitäne nicht ihre Leistung bringen.

Wenn man sich das Aufgebot anguckt, dann hatte man nicht den Eindruck, dass Trek wirklich um den Toursieg mitfahren wollte.

Einwand, er war auf der ersten Etappe aber gestürzt…
Ja, das ist richtig. Bei Katusha hat aber auch der ganze Zug nicht funktioniert. Aber auch das Aufgebot war seltsam. Keiner fürs Gesamtklassement und kein richtiger Sprintzug. Tony Martin hatte zwar zwei sehr solide Zeitfahren, seine Ausreißversuche haben aber auch nicht so kraftvoll gewirkt wie noch zu Quick-Step Zeiten. Wen ich aber von Katusha positiv hervorheben möchte, ist Nils Politt. Der junge Deutsche ist bei einigen Ausreißversuchen dabei war und ist dabei immer aggressiv gefahren. Von ihm einfach eine rundum gute Leistung. Gerade auch beim Zeitfahren am vorletzten Tag nochmal 13. zu werden, das ist schon super. Er hat aufblitzen lassen, was er drauf hat, da darf man sich auf die Zukunft freuen. Ein toller Fahrer, auch einer für die Frühjahrsklassiker?

Wie siehst du die kontroversen Diskussionen um Tony Martin? Viele sagen, seine Zeit läuft langsam ab. Andere argumentieren, dass ihm vor allem das letzte Zeitfahren wegen dem Anstieg nicht lag ..
Wenn man sich anguckt, was Tony Martin liegt, dann sind das die stetigen Leistungen über lange Zeit, wie beim Zeitfahren oder langen Soloattacken. Ich denke nicht, dass bei ihm der Zenit erreicht sein muss. Es gibt Fahrer, die sich bis Mitte/Ende 30 noch weiter verbessern, wenn es um die reine aerobe Fitness geht.

Es gibt viele Gründe, warum es gerade vielleicht nicht so läuft. Ist es das Umfeld? Das Equipment, das Training etc.? Man muss natürlich auch sagen, dass Tony Martin schon sehr große Erfolge in den Zeitfahren gefeiert hat und da immer wieder einen draufzupacken, das ist aus Motivationssicht nicht so ganz einfach: Immer nur im Zeitfahren zu glänzen!

Tony Martin hat ja schon durchklingen lassen, dass er bei den Frühjahrsklassikern gerne was probieren würde – ähnlich wie ein Cancellara. Wenn du dann aber Sturzpech hast oder wieder nur in die Helfertätigkeit beim Team eingebunden wirst, dann geht einem vielleicht auch mal die Motivation aus. Da reichen wenige Prozent um in der Weltspitze etwas zurückzufallen. Aber trotzdem, die beiden vierten Plätze in den Zeitfahren sind sehr ordentlich, zudem ist er aktueller Deutscher Meister – der Weltmeistertitel kann im Herbst ja immer noch kommen und die Saison wäre wieder gerettet.

Wen siehst du als Froomes ärgste Widersacher in den nächsten Jahren?
Wenn man über Froomes ärgsten Widersacher spricht, dann kommt man um Tom Dumoulin nicht herum. Bei ihm sieht man jedes Jahr einen klaren Aufwärtstrend, in allen Disziplinen. Er arbeitet sehr emsig daran, sich in allem zu verbessern: Training, Ausrüstung, Kletterfähigkeiten – und sogar im Zeitfahren.

Es hängt natürlich auch entscheidend vom Kurs ab, ich kann mir aber kaum vorstellen, dass es im nächsten Jahr noch weniger Zeitfahrkilometer gibt. Und wenn da einer mit Froome mithalten kann, dann ist es natürlich Dumoulin. Auch in den Bergen lässt er sich schwer abschütteln.

Landa in einem anderen Team wäre natürlich auch ein ernsthafter Konkurrent für Froome. Ein Quintana in Topform. Vielleicht auch Nibali und Aru. Wenn man dann noch bedenkt, dass Porte zurückkommt, dann sind da doch schon wieder einige Kandidaten dabei.

Glaubst du, dass Team Sunweb genug Bergfahrer für Dumoulin hat?
Derzeit haben sie die sicherlich nicht. Wenn man sich das Team beim Giro anschaut, dann konnte man schon sehen, dass Dumoulin einiges kompensieren musste, weil er das Team in den entscheidenden Momenten nicht hatte. Kelderman und Barguil sind aber sicherlich sehr starke Fahrer zur Unterstützung in den Bergen. Dazu kommt noch ein aufstrebender Sam Oomen, oder auch ein Simon Geschke, der immer tolle Arbeit leistet – aber unterm Strich muss man da noch 1-2 Fahrer für die Tour einkaufen.

Durch die Erfolge in diesem Jahr wird sicherlich mehr Aufmerksamkeit generiert und hoffentlich mehr Budget allokiert werden können. Interessant werden die Personalien Matthews und Barguil sein. Fraglich, ob sich Barguil ausschließlich in den Dienst eines Kapitäns stellt. Auch Matthews wird seine eigenen Interessen vertreten, das könnte dann dem Fokus auf das Gesamtklassement widersprechen.

Eine Herausforderung für das Team.

Weiterführende Links:
– Philipp Diegner @ Twitter (Link)
– Philipp Diegner Coaching (Link)

Das könnte Dir auch gefallen:

1 comment

Lieblingsblogs Folge 78 - Coffee & Chainrings 26 Juli 2017 - 20:16

[…] Klartext von Speed-Ville über dieTour de France. Eine Analyse der drei Wochen Tour mal anders. […]

Comments are closed.