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Tadej Pogacar gewinnt mit Jahrhundertleistung die TDF! | Unsere Leistungs-Analyse!

by Daniel

Es ist Samstagnachmittag, der 18.9., der Tag des einzigen Zeitfahrens bei der diesjährigen Tour de France

Und was heute passiert, hat das Potential, dass sich in 20-30 Jahren die Leute immer noch davon erzählen werden.

Die Geschichte vom 21-jähriger Slowenen, der die weltbesten Fahrer zerlegt und wie Schuljungen dastehen lässt.

Es geht hoch nach La Planche des Belles Filles, dem sagenhaften Anstieg in den Vogesen unweit von Freiburg. Mit super steilen Rampen um die 20% gegen Ende wie gemacht für ein Drama, das man gefühlt seit 31 Jahren nicht mehr erleben wird. 

Damals Laurent Fignon gegen LeMond bei der letzten Etappe in Paris, heute das slowenische Duell Roglic gegen Pogacar. 

Im heutigen Kommentar versuche ich die Dinge zu verarbeiten, die meines Erachtens zu den „krassesten“ Ereignissen der letzten 2-3 Dekaden im professionellen Radsport gehören.

Unser Headcoach und Datenanalyst Philipp Diegner (analysiert u.a. für Velon.cc zahlreiche WorldTour Rennen; siehe auch seinen Twitter Account mit zahlreichen Analysen) rückt dabei die Leistungen von Pogacar beim Zeitfahren nach Planche des Belles Filles und vorigen Rennen in den Kontext.

Hinweis: Kurz nach dem Zeitfahren am vergangenen Samstag wurden leider sämtliche Leistungsdaten (Watt) von Pogacars Strava Account gelöscht. Daher musste mit Schätzungen gearbeitet werden.

La Planche des Belles Filles
Anstieg nach Planche des Belles Filles (Archivbild aus 2019)

Tadej Pogacar mit irrer Leistung (ca. 6,69 W/kg) nach Planche des Belles Filles

Kommentar von Daniel (@speedvilleblog)

So richtig ahnt aber noch keiner,  was gleich passiert, ich will nicht sagen, dass die Luft irgendwie raus ist.

Die letzten knapp 3 Wochen waren zwar durchaus interessant, aber so richtig hatte mich der Kampf ums Gelbe Trikot – und die meisten von euch wahrscheinlich – nicht mehr gepackt. 

Schlichtweg zu dominant waren die Fahrer im Wespenlook vom niederländischen Team Jumbo Visma. 

Ein Team, bei dem irgendwie alles zu klappen schien. 

Erdrückende Dominanz von Jumbo Visma über 3 Wochen!

Eine Equipe, bei der selbst Sprinter/Puncheure wie Wout van Aert mit zu den schnellsten Bergfahrern zählen, und das mit Tom Dumoulin – selbst Sieger einer Grand Tour – einen der sicherlich hochdekoriertesten Edelhelfer an Bord hat, der wenn er dürfte sicherlich auch mit um den Gesamtsieg fahren würde.

Deren Kapitän Primoz Roglic nahezu jede Attacke des jungen Herausforderers Pogacar gefühlt spielerisch parierte. 

Machtdemonstration am Col de la Loze

Und wenn es mal wirklich hart auf hart kam, wie bei der ultraharten 17. Etappe nach Col de la Loze, Pogacar durchaus in ernsthafte Probleme bringen konnte. 

15 Sekunden sollte Pogacar an diesem Tag auf seinen Landsmann verlieren – für die meisten vorm TV schien hier das letzte Kapitel ums Gelbe Trikot geschrieben worden zu sein. 

Steckbrief Tadej Pogacar

Roglic hatte die Muskeln geflext und Pogacar durfte froh sein, dass es am Ende nur 15 Sekunden waren. 

Es folgte zwar noch eine harte, bergige Etappe Nr. 18, welche Pogacar und Roglic gemeinsam und zeitgleich auf den Plätzen 4 und 5 beendeten – ein Platz vor ihnen landete übrigens eingangs erwähnter Sprinter/Allzweckwaffe van Aert (!!) – für das abschließende Zeitfahren sollte die Messe aber weitesgehend gelesen sein. 

Abschließendes Zeitfahren nur noch eine Frage der Ehre?

Für Pogacar schien es also eine Frage der Ehre zu sein: 

Wie viel Sek. kann er Roglic noch abnehmen? 10, 15 oder vielleicht 20?

Noch einmal alles rausholen und der Welt zeigen, was für ein Sportsmann du bist!

Dabei war Pogacar vor diesem Zeitfahren (15,7 km) keineswegs chancenlos – denn bei der slowenischen Meisterschaft im Juni gewann der 21-jährige vor Roglic und nahm ihm dabei 9 Sekunden ab. 

Okay, 9 Sekunden. 

57 Sekunden packt der nicht mehr!

Aber 57 Sekunden Vorsprung schien eindeutig zu viel des Guten zu sein. 

Entsprechend schaltete ich den Fernseher am Samstag im Prinzip genau dann an, als die beiden Kontrahenten frisch auf der Strecke waren.

Meine Erwartungshaltung war relativ niedrig. 

Steckbrief Tadej Pogacar

Was soll heute schon noch passieren?

Die anderen Fahrer interessierten mich an dem Tag nicht wirklich. 

Es liegt was in der Luft

Ich kann euch nicht mehr sagen, an welcher Stelle ich intuituiv merkte, dass heute was in der Luft lag, aber als irgendwann das virtuelle Gesamtklassement (eine schöne Einblendung im TV) immer weiter unter die 30 Sekundenmarke rutschte, stellte man mehrere Dinge fest… 

  1. Bei den Kommentatoren von Eurosport und der ARD (mit Fabian Wegmann) sprach man nun zunächst davon, dass Roglic heute offensichtlich nicht den besten Tag hat, Pogacar hingegen nochmal alles, alles raushaut. 
  2. Man überlegte, ob Roglic vielleicht taktierte und erst am Berg all in geht? 
  3. Zweifel: Kann Pogacar das Tempo wirklich bis zum Ende halten? 

Als der Vorsprung im virtuellen Gesamtklassement immer weiter schmolz und irgendwann nur noch einstellig war, brachte es Jens Voigt mit seinem Mecklenburger-Akzent schnell auf den Punkt: 

Roglic wird heute die „Tour de Frongs“ verlieren! – hier entsteht ein nicht mehr aufzuhaltendes Momentum.

Die Welle kippte.

Verzweiflung: Der Moment, an dem Roglic die TDF verliert!

Roglic merkte und hörte vermutlich über Teamfunk freilich auch, dass sein recht komfortabler Vorsprung von fast einer Minute (das ist in der Liga schon eine Hausnummer!!) komplett aufgebraucht sei. 

Er fuhr eine viel zu hohe Kadenz mit gefühlt zu wenig Power.

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Pogacar Tour de L'Avenir
Pogacar bei der Tour de L’Avenir 2018

Die Verzweiflung stand ihm ins Gesicht geschrieben, die Rotzefäden hingen vom Kinn, der Aero-Helm rutschte wie bei einem Hobbyfahrer nach hinten.

Pogacar fuhr hingegen das Rennen seines Lebens, ein deutlich kraftvollerer Gang, und sollte an diesem Tag als jüngster Sieger seit 1904 das größte Radrennen der Welt mit einer wahrhaftigen Fabelzeit gewinnen. 

Tadej Pogacar Watt Analyse
Pogacar bei der Tour of California in 2019 (Schätzwerte)

Gesamte Riege der Topfahrer wurde deklassiert

Er distanzierte dabei nicht nur ausgewiesene Zeitfahrexperten und sehr starke Bergfahrer wie Tom Dumoulin um fast eineinhalb Minuten, sondern nahm seinem Kontrahenten Roglic, ebenfalls sehr stark im Zeitfahren ist, fast 2 Minuten ab.

Roglic fuhr bzw. rettete sich mit kreidebleichem Gesicht auf einen immer noch sehr starken 5. Platz. Übrigens ein Platz nach (Sprinter/Allrounder) Wout van Aert.

Nochmal an der Stelle: Wie krass ist bitte dieser Van Aert???? 

Von meiner eben beschriebenen passiven Haltung vorm TV war nicht mehr viel übrig. 

Ich war irgendwie krass fasziniert, Zeitzeuge dieses Auftritts gewesen zu sein. 

Darf ich mich jetzt wirklich freuen?

Was geht denn bitte hier ab???

Mensch, was freue ich mich für den Kerl, so frisch und aggressiv ist er in den letzten knapp 3 Wochen doch gefahren, meist ohne Helfer am Schluss in den Bergen, schaffte er es als Einziger der Übermacht von Jumbo Paroli zu bieten. 

Tadej Pogacar Power Planche des Belles Filles
Pogacar bei Planche des Belles Filles 2020 (Schätzwerte +/- 3 bis 5%)

Der Underdog hat’s gepackt!

Ein bisschen erinnerte es mich an die epischen Schlachten zwischen Jan Ullrich und Armstrong damals in den Nullern, als man auch gebannt und oft enttäuscht, ob des erneuten zweiten Platzes, vorm TV hing.

Aber jetzt sollte etwas kommen, was mir am Radsport sehr missfällt. 

Ich erwischte mich selbst bei dem Gedanken: 

Darf ich mich denn überhaupt freuen? Mach mal langsam, Müller!

Denn, das weiß ja jeder, der Radsport hat ja seit den 90er Jahren einiges falsch gemacht.

Sieger werden immer kritischer gesehen!

Wer in diesem Sport mit außergewöhnlichen Leistungen überrascht oder meist einfach nur gewinnt, muss sich mit sehr viel Gegenwind – v.a. per Socialmedia – beschäftigen. 

In diesem Fall…

Dopingvermutungen gegen den Fahrer selbst, mögliche Verstrickungen des slowenischen Radsports in die Operation Aderlass und ein Umfeld im Team von Pogacar mit zweifelhafter Vergangenheit (siehe Sportschau Artikel von Michael Ostermann; schrieb übrigens das Dominik Nerz Buch)

Das war natürlich Futter für die Gemeinde genug.

Großes Misstrauen gegenüber slowenischem Radsport

Alleine diese Umstände reichte Vielen, in bekannt anonymer Manier auf den verschiedenen Plattformen mit Anschuldigungen um sich zu schmeißen. 

Was machte das mit mir? 

Es nervt, es frustriert, es kreiert negative Energie. Ich kann es nachvollziehen.

Ja, ich kann absolut verstehen, dass man dem professionellen Radsport kritisch gegenübersteht, auch wenn er eins der vermeintlich ausgetüfteltsten Antidoping-Kontrollsysteme (siehe Interview mit Fabian Wegmann) in allen Profisportarten hat. 

Ja, ich kann verstehen, dass sehr, sehr starke Leistungen kritisch beäugt werden. 

Ja, ich kann verstehen, dass viele aufgrund der früher etablierten Kultur des Betrügens, heute immer noch annehmen, dass hier und da beschissen wird.

Cooler Lesetipp an der Stelle: Mein Interview mit Dopingjäger Hajo Seppelt

Allgemeine Annahme: Viel Grauzone, oft am Rande des Verbotenen.


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Darf man sich denn nun freuen?

Aber dennoch, solange es keine belastbaren Beweise oder zumindest Indizien gibt, sollte man mit seinen Äußerungen etwas aufpassen. Es gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung.

Sollte man auch mit seinen Emotionen aufpassen? Darf man sich nun freuen oder lieber mit angezogener Handbremse und zum Jubeln in den Keller?

Das muss jeder für sich selbst wissen.

Nennt mich an der Stelle blauäugig, aber ich hatte mich wahnsinnig für den jungen Pogacar gefreut, hatte eine gehörige Portion Mitleid für Roglic und hoffe einfach nur erneut, dass hier alles mit rechten Dingen zuging. 

Radsport, bitte enttäusche mich nicht!

Herzlichst,
Daniel

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