- Philipp Kaider gewann das diesjährige Race Across America (RAAM)
- im Interview verrät er seine ausgeklügelte Trainingsstrategie
- wie er sich ernährt während der knapp 5.000 km
- und warum er seine FTP gar nicht kennt
Nicht nur durch seinen zweifachen Gewinn der 24h-Weltmeisterschaft in Borrego Springs (USA) in den Jahren 2022 und 2024 rückte der Österreicher Philipp Kaider auch außerhalb seines Heimatlandes mehr und mehr medial in die Öffentlichkeit!
Nun stieg er unlängst durch seinen Sieg beim prestigeträchtigen Race-Across-America (RAAM) endgültig in den Olymp der weltbesten Ultra-Cycler auf.
RAAM Sieg : 8 Tage, 22 Stunden und 32 Minuten
Der 39-jährige Kaider, der übrigens kein Vollprofi ist und in Teilzeit als diplomierter Krankenpfleger arbeitet, benötigte für den 4932 Kilometer langen Ritt von der West- an die Ost-Küste der USA 8 Tage, 22 Stunden und 32 Minuten.
Zum Radfahren kam der Ultra-Athlet erst recht spät im Alter von 26 Jahren, um, wie er selbst sagte, dem Suchtdruck des Kettenrauchens zu entkommen.
Im Jahr 2016 begann er dann mit 2er-Team Rennen beim Race Around Austria, weitere Langdistanzen folgten. Bis dann im Covid-Jahr 2020 der Breakdown kam.
Mentaler Stopp in 2020
Mitten während eines Rennes hinterfragte er seinen damaligen Lebensstil und beendete das Rennen vorzeitig. Er musste lernen, seine Erwartungen an sich selbst zurückzuschrauben, seine Ungeduld in den Griff zu bekommen und die eigene mentale Stärke auszubauen – und kam erfolgreich zurück (siehe Vita/Erfolge).
Mit dem Sieg bei RAAM krönte Kaider seine bis dato äußert erfolgreiche Karriere und stand SpeedVille in einem Exklusiv-Interview Rede und Antwort.
Philipp Kaider: Vita und wichtigste Erfolge
07.10.1985 in Wien geboren
– Wohnhaft im niederösterreichischen in Wolkersdorf im Weinviertel
– Körpergröße: 185 cm, Körpergewicht: 73-75 Kilogramm.
– Beruf: Diplomierter Krankenpfleger
– 2016: 2. Platz im 2er-Team mit Bernhard Kornherr beim Race Around Austria
– 2020 und 2021: Zweiter Race Around Niederösterreich (600 km)
– 2021: Sieger Race Around Austria (1.500 km Strecke)
– 2022: Zweiter Race Around Austria (2.200 km Strecke)
– 2023: Sieger Race Around Austria (2.200 km Strecke) mit Streckenrekord
– 2022 und 2024: 24h-Weltmeister im Einzelzeitfahren in Borrego Springs/USA.
– Trainingspensum: ca. 1.000 Trainingsstunden mit ca. 30.000 Jahres-Kilometer
– 2025: Sieger Race Across America
Philipp Kaider über sein Training, Ernährung & Pacing beim RAAM
Von Jens Claussen
SpeedVille: Du bist amtierender und zweifacher 24h-Weltmeister. Wann kam bei dir die Idee auf, nicht nur für einen Tag, sondern wie beim RAAM über mehrere Tage hinweg Bestleistungen bringen zu wollen?
Die Idee kam jetzt nicht von einem Tag auf den anderen. Ich bin ja vorher auch schon Langdistanz- und 24h-Rennen gefahren. Eines meiner ersten Rennen war das Race Around Austria im 2er-Team, danach solo und das ging dann immer so weiter.
Ich würde deshalb die Reise bis zum RAAM eher als einen Prozess bezeichnen, bei dem die Distanzen im Laufe der Jahre immer länger wurden. Race Around Slowenia (1.200 Kilometer), Race Around Austria (1.500 Kilometer) ….. . Also, ich war schon erfahren in Mehrtages-Rennen und da war das RAAM halt noch über.
Was hast du für dich beim Ultracycling/RAAM als letztendlich größte Challenge angesehen und welchen Tipp hast du für unsere Leser (die ins UC einsteigen wollen), mit solcher Art Hindernissen umzugehen?
Ich musste grundsätzlich beim Ultracycling erst einmal lernen, mit der Tatsache umzugehen, dass die Wattzahl über so einen langen Zeitraum konstant in den Keller geht. Man fährt da gegen Ende mit Wattzahlen rum, die man sonst im Training zur Regeneration tritt – und trotzdem ist man noch schnell, und die anderen auch nicht schneller.
Auch musste ich erst akzeptieren, dass, durch den enormen Schlafentzug, der sich aufbaut, man einfach schlafen MUSS und, dass dieser Schlaf vor allem keine verlorene Zeit darstellt!! Die anderen müssen auch schlafen und man verliert keine Rennen dadurch, dass man schon von Beginn an evtl. eine konservative Schlaftaktik angeht.
Mein allerbester Tipp ist: Egal, wo es ist und egal, wie weh alles tut: Es gibt immer einen Ort, wo es besser wird, und der ist auf dem Radl!!
Wie lange hast du dich in Summe für das RAAM vorbereitet?
Das kann ich schlecht als „Summe“ bezeichnen, da das ganze Training die Jahre vorweg eher als Prozess einer Vorbereitung auf dieses Event betrachtet werden muss. Ich habe einfach nach dem Gewinn der letzten 24h-Weltmeisterschaft überlegt, was als Nächstes kommen könnte und da war als ein Ziel, das noch länger war, einfach das RAAM.
Ich betreibe als Solo-Starter seit 2018 Ultracycling und kann schon empfehlen, dass man sich 4-5 Jahre Vorbereitung für ein Rennen wie das RAAM geben sollte.
Mit welcher FTP (Watt/kg) hast du in Oceanside am Start gestanden?
Zur FTP (Watt/kg) kann ich eigentlich nichts groß sagen, weil ich sie schlichtweg nicht weiß – und, weil sie mir auch Wurscht ist. Ich habe zwar mal vor einem Trainingslager einen Leistungstest gemacht, aber direkt vor dem RAAM nicht mehr.
Die Relevanz der FatMax im Ultracycling
Weil es einfach keine Konsequenz für mich mehr gehabt hätte. Essentiell ist es, seinen FatMax-Bereich zu kennen, da du beim RAAM nahezu ausschließlich im mittleren und unteren FatMax-Bereich unterwegs bist.
SpeedVille ist eine Coaching-Plattform, die User sind besonders an Trainingsstrategien, ausgerichtet auf ein bestimmtes Ziel, interessiert. Magst du uns einmal detailliertere Einblicke in deinen Trainingsalltag in der Vorbereitung auf das Rennen geben?
Grundsätzlich muss man im Ultra-Bereich schauen, dass man eine sehr niedrige VLamax (Laktatbildungsrate) hat und das Training ist sehr darauf ausgerichtet. So habe ich wenig in maximalen Bereichen trainiert und wenn, auch nur leicht über der Schwelle.
Wenn man VO2max trainiert, erhöht man automatisch die VLamax und das ist Contra. Da muss man als Ultracycler im Training sehr bedacht sein. Zum Senken der VLamax bin ich viele K3- und Sweetspot-Einheiten gefahren und sehr viel Zeit in Zone 2.
Eine typische Einheit war z.B. eine 5 Std. Trainingseinheit: 3 Std. in Zone 2 und direkt darauf 4 x 10-15 min Intervalle im Sweetspot anhängen.
Two-Ability-Training
Wir nennen das “Two-Ability-Training“, was den Hauptteil in der Vorbereitung ausgemacht hat.
Das wurde dann regelmäßig mit “Grinding“, wie nennen es auch “räudiges Standgas“ gespickt. So hatte ich auf Gran Canaria Einheiten, da bin ich jeden Berg mit einer Kadenz von 35-45 U/min im Lower-Sweet-Spot hochgefahren.
In unserem SpeedVille Blog stellt unser Headcoach Philipp Diegner regelmäßig in unseren “Success Stories (siehe Hendrik beim Ötztaler)” Trainings- und Renndaten von erfolgreichen Athleten der Öffentlichkeit zur Verfügung (z.B. auch des KT Profis Anton Schiffer, der bei den Dt. Straßenmeisterschaften sensationell Dritter wurde). Für die Leser wäre es natürlich mega spannend, einen kleinen Einblick in die Datenwelt deiner Siegesfahrt zu erhalten. Wäre das möglich?
Nein, das kann ich leider nichts vernünftig Verwertbares zur Verfügung stellen. Der erste Garmin hat sich nach 2.500 km aufgehängt, das zweite Gerät nach weiteren 1.000 km…. . Mit dem dritten bin ich es dann zu Ende gefahren.
3 Garmins beim RAAM verschlissen
Welche Rolle hat dein langjähriger Coach Markus Kinzelbauer in der Vorbereitung gehabt und in welchen Momenten/Phasen war er mit dir besonders gefordert?
Mit Markus arbeite ich jetzt seit 5-6 Jahren zusammen und er ist zu einem großen Erfolgsfaktor geworden, dass ich mittlerweile so gut Radfahren kann. Im RAAM hatte er gar nicht so viel Last mit mir, sondern eher davor. In der Zeit vor solchen Rennen bin ich nicht mit sonderlich viel Selbstvertrauen gesegnet und mache mir viele Gedanken über die Stärke meiner Gegner.
Auf einmal war im Training die Herzfrequenz um drei Schläge erhöht, das hat mich verunsichert. Mit solchen Szenarien bin ich ihm in den letzten Jahren sicher ordentlich auf den Sack gegangen. Mit Markus habe ich aber gelernt in derartigen Momenten ruhiger und selbstsicherer zu werden.
„Ich glaube, keiner von den 400 TCR Teilnehmern arbeitet mit einem Mentaltrainer“
Welche Rolle spielte Mentaltraining in deiner Vorbereitung und wie müssen wir uns ein Mental-Coaching für ein derartige psychische Herausforderung konkret vorstellen?
Für mich persönlich ist ein Mentalcoaching kompletter Blödsinn. Am Ende des Tages musst du nur für dich selbst wissen, WARUM du das tust! Dann brauch ich auch, wenn ich mal Zweifel habe, dafür keinen extra Coach.
Ich glaube, keiner von den 400 TCR Teilnehmern (Trans Continental Race) arbeitet mit einem Mentaltrainer. Meiner Meinung nach ist dieses Thema total überblasen!
Welche Pacing-Strategie hattet ihr im Vorfeld festgelegt, und im Review: Würdest du sagen, die Strategie ist aufgegangen?
Die Strategie war simpel: Das erste Ziel war Atlantic City zu erreichen und das zweite dieses ohne möglichst viele Probleme. Die Zeit ergibt sich dann für mich ganz einfach aus der Erledigung dieser beiden Ziele.
Ziel: Atlantic City ohne Probleme erreichen!
Probleme drum herum zu minimieren, das ist der Schlüssel für mich, um recht lange ein hohes Tempo fahren zu können. Das habe ich aus meiner Erfahrung der letzten Jahre gelernt. Wir hatten also nur zwei Aufgaben zu erledigen, das hat das Rennen recht “easy” für uns gemacht.
Ich würde es genauso wiederangehen!
Wie hast du dich während des Rennens ernährt und was hast du am Start bzw. am Ende des Rennens auf die Waage gebracht?
Auch hier sind wir recht simpel vorgegangen. Jeder Stunde habe ich eine Portion Trinknahrung (z.B. von Fortimel) zu mir genommen. Auf die Menge, die wir stündlich vereinbart hatten, habe ich darüber 30-40 g Kohlenhydrate zugeführt, so dass ich optimal in meinem FatMax-Bereich fahren konnte.
Der Rest wurde mit Carbs meiner Firma “no carbs, no glory!“ (www.nocarbsnoglory.com) aufgefüllt (Anm. der Red.: Philipp Kaider ist Geschäftsführer von “no carbs, no glory!“).
Hier habe ich durchgängig das Kohlenhydratpulver RACE BLEND (Mischung 1:0,8) verwendet. Bei Interesse haben wir unter dem Branding auch einen Podcast, der sich mit den Themen Basis- und Sporternährung per se beschäftigt.
Vorm RAAM 78 Kilo – danach 73 Kilo!
So, jetzt aber genug der Werbung. Vor dem Start habe ich mich mit 78 Kg an die „Übergewichtsgrenze rangefressen“, direkt danach habe ich mich nicht gewogen. Als ich zwei Wochen nach dem Rennen mal wieder auf der Waage stand, hatte ich 73 kg. Ich habe also Minimum während der Renntage 5 Kilogramm verloren.
In den bisherigen 43 Auflagen des RAAM siegten zwölfmal Österreicher. Hast du eine Idee, warum dein Heimatland so erfolgreich bei diesem Ultra-Rennen abschneidet?
Das ist ganz klar das Wasser, ne andere Erklärung habe ich nicht. Im Ernst, Wolfgang Fasching (dreimalige Sieger des RAAM) hat damals für das RAAM in Österreich eine Vorreiterrolle eingenommen.
Der hat bei seiner ersten Teilnahme gleich ganz geschickt das ORF ins Boot geholt, so dass in Österreich der Bekanntheitsgrad des Rennens schnell zunahm. Wolfgang hat dann auch den Christoph Strasser zur Teilnahme am RAAM gebracht, die beiden haben generell eine irrsinnig gute Medienarbeit geleistet.
Punkt 2: Wir haben recht viele Ultra Veranstaltungen in Österreich auf denen man sich, u.a. auch in Teams, erstmals im Ultracycling auf “kürzeren” Strecken ausprobieren kann – z.B. das Race Around Austria. Und, du motivierst nur jemanden für derartige Events, wenn du offen deine Erfahrungen weitergibst. Das hat der Christoph medial, u.a. mit seinem UC Podcast sehr gut gemacht.
Dadurch hat er anderen Menschen viel Angst und Respekt vor solchen einer Anstrengung genommen. Wir haben hier Österreich einfach eine sehr gute Community-Arbeit (geleistet) und junger Nachwuchs wächst bei uns nach.
Das ist aber beispielsweise auch in Süddeutschland zu beobachten, wo es im UC- Bereich viele, sehr starke junge Athleten gibt.
Vielen Dank, Philipp! Und weiterhin viel Erfolg!
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Fotos: Christian Troll, SCHOKO communications