Wer in den letzten Wochen die Tour de France auf Eurosport geschaut hat, dem dürfte Karsten Migels ans Herz gewachsen sein. Zusammen mit Jean-Claude Leclercq kommentiert er die dreiwöchige Landesrundfahrt mit einer sehr großen Leidenschaft und schier unendlichem Fachwissen. Welcher Fahrer nutzt welche Sitzcreme? Welcher Fahrer ist froh, dass er von zu Hause weg ist und wer hat Heimweh? Die beiden wissen es. Im April sprach ich mit Karsten in den Interview Sessions #007 genau über diese Tour de France und den Radsport im Allgemeinen. Wer das Interview noch nicht gelesen hat, für den dürfte ich hiermit was haben…
Karsten Migels im großen Interview
Radsport ist für dich der schönste Sport der Welt. Wie kommst du zu der Aussage?
Karsten Migels: Ich habe in meinem ganzen Leben, ich bin jetzt 53 Jahre alt, eigentlich nichts anderes gemacht als Dinge, die mit dem Radfahren zu tun haben. Ob das meine Hobbys sind oder natürlich das Berufliche – früher hatte ich in Freiburg zudem zeitweise auch in einem Fahrradladen gearbeitet. Es gibt doch fast nichts Schöneres, als sich draußen an der frischen Luft zu bewegen und den Duft der Natur einzuatmen. Früher hatten wir zahlreiche Touren gemacht, sind mit Sack und Pack nach Italien, Frankreich oder in die Schweiz gefahren – mir gefällt diese Geschwindigkeit, man sieht viele Orte und kann die Dinge am Streckenrand intensiver als z.B. mit dem PKW wahrnehmen. Einfach traumhaft.
Dein Ziel als Kommentator ist es den Zuschauern den recht komplizierten Radsport einfacher zu machen…
Karsten Migels: Ja, das stimmt. Ich habe bei dir auch mal einen Artikel gelesen, dass Deutschland keine Radsportnation ist. Das werden wir sicherlich auch nicht werden können, solange wir es in Deutschland nicht verstehen, den Radsport so zu nehmen, wie es in Belgien, Holland oder Frankreich der Fall ist.
Es verstehen bei uns einfach zu wenige etwas vom Radsport, also vom Radrennsport. Und das ist das große Problem. Natürlich hatte sich das in den Zeiten des Team Telekom mit Ullrich, Zabel und Co. zwischenzeitlich etwas verändert, aber nichtsdestotrotz, es gibt immer noch sehr viele, die nicht verstehen, wie z.B. die Gesamtwertung einer Rundfahrt funktioniert: Wie wird das alles addiert, warum gibt es dieses und jenes Trikot, wie setzen sich diese Wertungen zusammen?
Im Juni arbeite ich 20 Jahre für Eurosport und wir haben in dieser Zeit dem Zuschauer den Radrennsport sehr viel näher gebracht, und mit unseren Experten Rudi Altig, Jens Heppner, Jan Schur oder seit einigen Jahren mit Jean-Claude vermittelt, wie diese faszinierende Sportart funktioniert und den Radrennsport gelebt. Nicht zuletzt fantastische Bilder gezeigt.
Wäre es nicht eine Idee, dass die UCI durch ein paar Regeländerungen dazu beiträgt, dass der Radsport in Summe vielleicht noch verständlicher wird?
Karsten Migels: Egal, ob ich jetzt eine Grand Tour, die Tour de Suisse oder die Tour de Romandie nehme: Es ist schon sehr schwierig, das noch einfacher zu machen. Bei einem 6-Tage-Rennen ist es ein anderes Thema: Dass, was die 6-Tage-Serie jetzt u.a. mit Berlin anstrebt, ist sicherlich sinnvoll, weil 6-Tage-Rennen noch komplizierter im Reglement sind als Straßenrennen.
Aber, wenn man sich etwas intensiver damit beschäftigt, wird man feststellen, dass das Reglement im Straßen-Radsport gar nicht so kompliziert ist. Was aber viel komplizierter ist, ist die taktischen Maßnahmen der Mannschaften verständlich zu erklären: Warum sind jetzt die Sprinter oder Bergfahrer dran? Warum arbeitet ein Marcel Kittel jetzt für diesen oder jenen Kollegen, warum ist Markus Burghardt einen der wichtigsten Rennfahrer im Team BORA-hansgrohe. Das ist deutlich schwieriger nachzuvollziehen.
Zudem kommt, dass die Sportlichen Leiter intern auch noch Absprachen führen, so dass das eine Team mal für das andere mitfährt. Das macht es in Summe nicht einfacher (lacht).
Karsten Migels: Es gibt immer noch sehr viele, die nicht verstehen, wie z.B. die Gesamtwertung einer Rundfahrt funktioniert: Wie wird das alles addiert, warum gibt es dieses und jenes Trikot, wie setzen sich diese Wertungen zusammen?
Wie erklärst du es dir, dass Radsportnationen wie Belgien den Radsport besser verstehen?
Karsten Migels: Ganz einfach. Weil man sich dort viel mehr damit beschäftigt. Der Radsport hat in diesen Ländern eine ganz andere Tradition. Belgien mal als Beispiel: Ich habe vor kurzem ein Interview mit André Greipel dazu gelesen. Wenn man das mal miterlebt hat, was dort drüben vor der Flandernrundfahrt los ist, wie das dort auch medial funktioniert, unbeschreiblich. Das kann man nicht erklären, das muss man gesehen haben.
Radsport ist dort ein Teil der Geschichte, gehört zum Leben. Das ist ja nicht erst seit heute so, das ist dort seit über 100 Jahren so – insbesondere in Flandern. Sie haben dadurch diese Radsportler, die so erfolgreich waren: Eddy Merckx, die Planckaert-Dynastie, Godefroot, Maertens, Schotte und wie sie alle hießen.
Dadurch haben sich die Leute für den Radsport interessiert, sie wollten wissen wie es funktioniert. Radsport ist bei uns Deutschland auch eine tolle Sportart, die einen Bekanntheitsgrad genießt, aber die Begeisterung ist sehr stark mit dem entsprechenden Start von Fahrern wie Altig, Junkermann, Wolfsohl, Thurau, Braun, Thaler oder Ullrich und Zabel verbunden.
Solange sie den Zuschauer bei „Laune“ halten, ist alles gut. Fehlt der Erfolg, kommen keine Tour-de-France-Siege dazu, gibt es wenig Interesse in der breiten Öffentlichkeit. Und das ist nicht nur im Radsport so, auch in anderen Randsportarten wie zum Beispiel Tennis: Wenn es nicht die großen Stars gibt, wie früher Boris Becker und Steffi Graf, dann interessieren sich wenige für den Sport. Fehlen die Stars ist auch das Interesse der Medien gering. Im Bezug auf den Radsport können wir uns von Eurosport ganz dick zu Gute halten, dass wir diesen auch in seiner schwierigsten Phase zur Seite gestanden haben. Auch in Zeiten der Doping-Skandale haben wir Radsport gesendet!
Klar, wir sind halt nur dran interessiert den Fernseher einzuschalten, wenn ein Deutscher um Gelb mitfährt. …oder Rennen wie die Flandernrundfahrt oder Paris–Roubaix zu sehen. Das sind noch Rennen, die sich die Leute gerne angucken. Aber wenn du mal Paris–Nizza nimmst, oder auch andere Klassiker, wer interessiert sich in Deutschland dafür? Das sind doch wenige, mal ganz ehrlich.
Welche von den Frühjahrsklassikern sind deine Favoriten?
Karsten Migels: Natürlich Paris–Roubaix und die Flandernrundfahrt, gar keine Frage. Diese beiden Rennen, das sind die Wahnsinnsrennen für mich. Mailand–Sanremo, wenn es in die Finalphase zur Cipressa und Poggio geht. Paris–Roubaix, das ist für mich Radsport vom Feinsten: Das ist Kämpfen, sich durchzubeißen, das hat auch was damit zu tun, sehr gut sein Rennrad bewegen zu können, die Maschine in den schwierigsten Situationen unter Kontrolle zu haben.
Oder die Begeisterung der Zuschauer am Fernseher mitzuerleben, wenn sie sich diese Hellingen hochquälen.
Karsten Migels: Ja, das ist so. Das kann man nicht beschreiben, das muss man mal erlebt haben. Genauso wie eine Bergetappe bei der Tour de France. Wenn du einmal dort warst, dann willst du immer wieder zur Tour, weil es einfach fantastisch ist. Das Schöne ist doch auch, dass alles friedlich abläuft. Es gibt keinen Zoff , es gibt keine Schlägereien, es gibt keine unterschiedlichen rivalisierenden Gruppierungen. Ganz egal, ob Franzose, Spanier, Italiener, Deutscher oder Holländer – die lieben den Sport und feiern zusammen ihre „Helden der Landstraße“.
Wenn einer wie du 20 Jahre Radsport kommentiert hat und quasi alle Rennen gesehen hat: Was ist denn so eine Region, bei der du sagst: Da müsst ihr unbedingt mal zum Radfahren hin!
Karsten Migels: Frankreich ist wunderschön, das muss ich ganz ehrlich sagen. Ein riesiges Land mit wunderschönen Ecken. Vor allem die Pyrenäen, das ist richtig geil. Mir gefallen aber auch Regionen wie Yorkshire, wo 2014 der Tour-de-France-Start stattfand.
Aber ganz ehrlich, Deutschland braucht sich auch nicht zu verstecken. Ich war bis auf ein Jahr bei allen Ausgaben der Deutschland Tour dabei: Hier gibt es wunderbare Flecken Erde. Da ist für jeden etwas dabei. Ob flach, wellig oder bergig. Und natürlich Italien, das darf in dieser Auflistung nicht fehlen.
Im Buch „Domestique“ schimpft Charly Wegelius über Süditalien. Sei es der schlechte Straßenbelag oder die rüpelhaften Autofahrer…
Karsten Migels: Süditalien ist natürlich nochmal ein ganz anderes Thema. Im Süden sind die Straßen sicherlich schlechter und die Menschen auch nicht so rücksichtsvoll – nicht so gelassen, wie jetzt in Frankreich, wo du einfach mehr Platz hast.
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Dies war ein Auszug des exklusiven Interviews mit Eurosport-Kommentator Karsten Migels aus meinem e-Magazin (PDF) Interview Sessions. Das Magazin erschien Anfang April 2017. Veröffentlichung ist quartalsweise.
>> Das komplette Interview könnt ihr gratis hier lesen.
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