Durchatmen. Für viele Radsportfans und Journalisten ist in den Tagen nach der Tour de France erst einmal Regeneration angesagt: Drei Wochen Tour-Zirkus zollen ihren Tribut. Es gilt die Geschehnisse zu verarbeiten und analysieren. Mit Bernd Landwehr, Radsportfan und Journalist zugleich, vom höchst sympathischen Cylingmagazine.de, sprach ich über den Tour-Wahnsinn der vergangenen drei Wochen – zumindest in Frankreich. Denn in Deutschland blieb die Euphorie ja leider aus.
Vielleicht ist es ja noch ein kleiner Geheimtipp: Während der großen Radrennen lohnt es sich, mal bei Bernd Landwehr vom Cyclingmagazine.de vorbeizuschauen. Bernd ist langjähriger Radsportredakteur (u.a. RoadBIKE) und hat vor noch nicht allzu langer Zeit mit dem Cyclingmagazine.de seine eigene Plattform gegründet. In authentischer und kompetenter Art und Weise berichtet er hautnah von den Geschehnissen im Profizirkus. Ein Highlight sind vor allem seine Tweets mit den deutschen Profis, in denen uns super interessante Einblicke hinter die Kulissen des Radsports gewährt werden.
Jetzt, unmittelbar nach der Tour de France, freue ich mich wirklich sehr, Euch das Interview mit Bernd zu präsentieren: Welche Fahrer waren für ihn die Tops & Flops? Warum blieb der Radsport-Boom in diesem Jahr in Deutschland aus? Welchen deutschen Talenten traut er den Sprung nach ganz weit vorne zu?
Bernd Landwehr über die Tour de France 2016
Bernd, bist du nach drei Wochen erst einmal froh, dass der „Zirkus“ vorbei ist?
Ja, schon. Es fühlt sich ein wenig so an, als würde man aus einer anderen Welt zurück ins normale Leben auftauchen. Die Tour hat eine eigene Zeitrechnung, ist ein eigener Kosmos. Es ist eine großartige Zeit, aber auch sehr kraftraubend und es ist schon schön, wenn man wieder Zeit für die Familie hat. Aber trotzdem kommt jedes Jahr am letzten Tag wieder ein wehmütiges Gefühl auf. Man freut sich eben ewig drauf und dann ist es irgendwie ruckzuck vorbei. Während der Tour scheint die Zeit zu fliegen, doch denkt man an den Grand Depart zurück, kommt es einem so vor, als wäre er Monate her.
Wie fandest du die diesjährige Tour de France? Hat sie dich begeistert oder war es eher: „Ging so“? In Deutschland blieb die allgemeine Begeisterung leider aus…
Es war sicher nicht die spannendste Tour aller Zeiten. Die Sky-Dominanz hat dem Kampf um Gelb etwas die Spannung genommen. Vergleicht man die Tour mit dem Giro, oder der Vuelta vom vergangenen Jahr, war es natürlich deutlich weniger spektakulär. Aber es gibt ja nicht nur den Kampf um Gelb. Wir haben viele Ausreißer-Siege gesehen und es gab auf einigen Etappen durchaus spannende Fights um den Tagessieg.
Deutschland war auch damals keine Radsport-Nation, sondern eine Ulle-Zabel-Nation.
Dass in Deutschland keine riesige Begeisterung aufkommt, liegt sicher auch daran, dass es keinen deutschen Klassementfahrer gibt. Hier wird der Radsport vor allem über Personen verkauft. So war das auch vor 15 Jahren. Deutschland war auch damals keine Radsport-Nation, sondern eine Ulle-Zabel-Nation. Die deutsche Medienkultur unterstützt das. Das gilt aber auch für andere Sportarten, siehe die Tennisbegeisterung rund um Boris Becker und Steffi Graf. In Radsportnationen wie Belgien ist das hingegen anders. Klar schauen die auch auf ihre belgischen Stars, aber es steht viel mehr der Sport im Fokus, weniger die Person. Es ist sehr schade, dass das in Deutschland nicht so ist, denn es ist eine faszinierende Sportart mit vielen Facetten und viel Taktik.
Glaubst du, dass Emanuel Buchmann es mal in die Top 5/10 bei einer Grand Tours packen wird?
Ich glaube das wird sehr schwer. Emanuel Buchmann hat sicher viel Talent, ist noch jung und hat auch in diesem Jahr eine sehr gute Tour gezeigt. Doch ob er noch einmal einen so großen Sprung machen kann, dass es für die Top-5 der Tour reicht, bleibt abzuwarten. Er ist über die kompletten drei Wochen konstant gefahren und scheint gut zu regenerieren, das ist enorm wichtig. Aber für die Top-5 fehlt noch einiges. Doch er kann in Zukunft sicher um Etappensiege bei schweren Bergetappen fahren und vielleicht mal aufs Bergtrikot, das wären auch riesige Erfolge!
Welches Talent hättest du sonst noch auf dem „Zettel“?
Ein großes Rundfahrttalent ist sicher Silvio Herklotz. Auch Lennard Kämna wird als großes Talent gehandelt, doch man muss die Entwicklung abwarten. Es ist sehr schwer abzusehen, wie sich die Fahrer weiterentwickeln. Ich halte auch nichts davon, den nächsten Jan Ullrich zu suchen und früh Druck zu erzeugen und einen Hype aufzubauen. So etwas ist meist eher kontraproduktiv. Aber wir haben aktuell tolle deutsche Radfahrer, um die uns viele Nationen beneiden. Mit dem Weltklasse-Zeitfahrer Maximilian Schachmann schafft der nächste den Sprung in die WorldTour. In Sachen Sprint haben wir mit Pascal Ackermann oder Konrad Geßner große Talente. Ich halte es für sehr wichtig, dass wieder mehr Nachwuchsförderung betrieben wird, denn ohne diese wird die Zeit mit den vielen starken deutschen Fahrern irgendwann vorbei sein.
Wer sind deine persönlichen Tops & Flops unter den Fahrern bei der Tour 2016?
Beeindruckt haben mich Adam Yates und Louis Meintjes. Dass Yates ein Riesentalent ist, wussten wir nicht erst seit seinem Sieg beim Classica San Sebastian, aber bei dieser Tour drei Wochen ohne Schwäche ganz vorn mitzufahren, ist dann nochmal was ganz anderes. Er hat verdient das Weiße Trikot gewonnen und lag am Ende keine 40 Sekunden hinter dem Gesamtzweiten Romain Bardet. Das rückt die Leistung von Louis Meintjes leider etwas in den Schatten, aber auch der Südafrikaner ist eine extrem starke Tour gefahren. Wahnsinnig beeindruckend ist auch die Leistung von Jarlinson Pantano. Der Kerl war schon bei der Tour de Suisse extrem stark, aber seine Tour war der Hammer. Die Angriffslust von Thomas De Gendt gefällt mir immer wieder und natürlich hat auch Peter Sagen für viel sportliches Entertainment gesorgt.
Etwas enttäuscht hat mich Tejay van Garderen und auch Warren Barguil hätte ich mehr zugetraut.
Etwas enttäuscht hat mich Tejay van Garderen und auch Warren Barguil hätte ich mehr zugetraut. Leider war Wilco Kelderman auf der achten Etappe gestürzt, auf ihn war ich sehr gespannt. Bei den Sprintern sind bei uns allen sicher die Namen Sondre Holst Enger und Daniel Mclay positiv hängen geblieben.
Ich hatte persönlich große Hoffnungen, dass Nairo Quintana für eine spannende Tour sorgen wird. Was ist deine Erklärung, dass da kaum was kam?
Das ist schwer zu sagen. Er war ja nicht ganz weit weg von der Musik, aber eben doch deutlich schwächer als im letzten Jahr. Er selbst sprach von einer Allergie als mögliche Ursache. Er ist nach der Tour de Romandie lange kein Rennen gefahren, sondern hat sich in Kolumbien vorbereit. Erst bei der Route du Sud ist er wieder aufgetaucht, war dort aber extrem stark. Das Rennprogramm vor der Tour war identisch zum letzten Jahr, vielleicht war er aber zu früh in Topform. Doch das ist von außen unmöglich einzuschätzen. Schade ist es allemal, denn wir haben uns alle gewünscht, dass er die Tour spannend macht.
Chris Froome dominiert die Tour wie einst Lance Armstrong. Viele fragen sich, ob das noch mit rechten Dingen zugeht. Deine Meinung würde mich einmal interessieren…
Das werden wir wohl erst in einigen Jahren erfahren, wenn überhaupt. Man sieht keinem Fahrer an, ob er dopt oder nicht. Ich habe einige Fahrer als sehr symphytische Menschen kennengelernt, obwohl sie verbotenen Sachen genommen haben – man merkt es niemandem an, ob er was nimmt. Die Sky-Dominanz weckt schon Erinnerung an die US-Postal-Zeit, aber es bringt nichts, deshalb vorzuverurteilen. Ganz allgemein ist es bei mir so, dass bei manchen Leistungen die Alarm-Glocken angehen und ich dann besonders kritisch hinschaue.
Die Sky-Dominanz weckt schon Erinnerung an die US-Postal-Zeit, aber es bringt nichts, deshalb vorzuverurteilen.
Mit wem arbeitet ein Team zusammen, wie offen sind sie was Leistungsdaten etc. angeht, wie verhalten sich die Personen…, das alles fügt sich zu einem Bild zusammen. Doch Gewissheit hat man erst durch Tests und Ergebnisse, so soll das auch sein! Mit Fakten kann man arbeiten, von Vorverurteilungen vom TV-Bildschirm aus halte ich nichts.
Deine Tweets mit Simon Geschke & Co. finde ich sehr interessant. Wie entstand die Idee dafür?
Vermutlich im Auto, dort entstehen die meisten Ideen. Das ist aber schon mehr als vier Jahre her und ich erinnere mich nicht mehr. Ich mag das Format wirklich sehr. Wir haben es jetzt schon bei vier Grand Tours mit Simon gemacht und jeweils eine mit Johannes Fröhlinger und Marcel Kittel, aber es wird nie langweilig. Auch von den Lesern kommt viel positive Rückmeldung. Ihnen gefällt der spezielle Blick auf das aktuelle Renngeschehen. Es sind eben die ungefilterten individuellen Eindrücke der Fahrer, ich denke das ist es, was es ausmacht.
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