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Anti-Doping: Trotz massivem Ärger unter den Profis: Das Whereabouts-System hat Vorrang vor Privatsphäre!

by Daniel

Wo wirst du wann in den nächsten drei Monaten sein? Keine Ahnung! Für Profiradsportler gilt diese Antwort nicht, sie müssen ihre künftigen Standorte, ihre Whereabouts, penibel planen und sicherstellen, dort dann auch erreichbar zu sein. Trotz Kritik an diesem System findet Sportrechtler Hendrik Burbach im Sinne des fairen Wettbewerbs: Richtig so!

Whereabouts-System

Von Hendrik Burbach

Also doch.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in einer wegweisenden Entscheidung geurteilt, dass das von der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) vorgeschriebene Meldesystem für Profisportler keinen Menschenrechtsverstoß darstellt. Dieses System hat in der Vergangenheit im Profiradsport schon für viel Diskussion gesorgt und nicht wenige Profis haben sich in ihrem Tages- wie Trainingsablauf durch diese Verpflichtung erheblich beeinträchtigt gefühlt.

Aber nicht nur das, etliche Profis wurden bereits aufgrund verpasster Tests gesperrt – oder sorgten für handfeste Skandale.

Vor den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro hatte zuletzt die Britin Lizzie Armitstead (heute: Deignan) wegen eines verpassten Tests für Schlagzeilen gesorgt, wurde aber dann doch durch den höchsten Sportgerichtshof zu den olympischen Rennen zugelassen.

Streitthema unter den Profis: Whereabouts-System

In diesem sogenannten Whereabouts-System geht es darum, dass von der nationalen Anti-Doping-Agentur bestimmte Profis, Monate im Voraus anzugeben haben, wo sie sich an welchem Tag aufhalten werden, sowie eine einstündige Erreichbarkeit je Tag garantieren müssen.

Treffen die Kontrolleure den Athleten nicht an dem eingetragenen Ort oder zu der vorgegebenen Zeit an, gilt dies bereits als verpasster Dopingtest, bei einem wiederholten Vorkommen droht sogar eine mehrmonatige Sperre.

Hintergrund der Entscheidung des höchsten europäischen Gerichts ist ein französisches Gesetz, das die Vorgaben der WADA in Frankreich umgesetzt hat. Die französische Profiradfahrerin Jeannie Longo klagte als betroffene Sportlerin gegen diese Vorschrift. Sie sah sich vor allem in ihrem Privat- und Familienleben sowie in ihrer persönlichen Freiheit verletzt. Ihrer Klage schlossen sich diverse weitere Athleten und Sportverbände an.

In Deutschland hat die Nationale Anti Doping Agentur (NADA) dies durch die sog. ADAMS (Anti-Doping Administration and Managing System) Datenbank eingeführt.

Erheblicher Eingriff in die Rechte der Profis

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, welchen sie als letzte Instanz nach vergeblichen Klagen vor den französischen Gerichten anrief, wies ihre Klage allerdings ab. Zwar erkannten die Richter an, dass das Meldesystem der WADA eine erhebliche Beeinträchtigung für das Privatleben (Art. 8 EMRK) der Sportler darstellt, diese müssen schließlich ihren gesamten Tagesablauf nach den getätigten Angaben ausrichten.

Jedoch sahen die Richter den Eingriff als gerechtfertigt an.

So überwiege a) zum einen der Schutz der Gesundheit der Sportler. Das Kontrollsystem solle ein systematisches und langfristiges Dopingverhalten verhindern, was letztlich zu erheblichen Krankheiten führen kann. Zudem haben b) die Profisportler eine Vorbildfunktion.

Mit Blick auf Nachwuchs- und Hobbysportler müsse einer systematischen Dopingpraxis entschieden entgegengewirkt werden.

Fairer Wettbewerb hat Vorrang

Das Hauptaugenmerk legte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte allerdings auf das Argument des fairen Wettbewerb, indem er feststellte, dass durch das Whereabouts-System vor allem die Rechte anderer geschützt würden. Die Richter argumentierten, dass hierdurch der Betrug an den Kollegen und am Zuschauer reduziert werde. Auch lasse sich das System nicht mit einer Fußfessel vergleichen, da sich der Athlet zwar eine Stunde lang an einem vereinbarten Ort aufhalten müsse, jedoch trotzdem frei sei in dem, was er dort macht.

Meine Meinung: Richtige Entscheidung mit holpriger Begründung

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist in der Sache zu befürworten und ein wichtiger Schritt im weiteren Anti-Doping-Kampf. Das Whereabouts-System trägt entscheidend dazu bei, die Dopingprobleme zu bekämpfen und es den Betrügern so schwer wie möglich zu machen. Gerade im Radsport hat sich dieses zwar nicht beliebte, aber doch effektive System mehr als bewährt und fördert den fairen Wettbewerb.

Allerdings wäre es wünschenswert gewesen, die Beschränkung des Meldesystems auf nur ausgewählte Athleten verschiedener Sportarten aufzuheben und vielmehr jeden Profisportler diesem zu unterwerfen. Denn, wie aus Radsportkreisen öfters moniert wird, die Unterwerfung nur bestimmter Athleten unter dieses strenge System erscheint teils willkürlich, da bereits vorab eine Selektion zwischen dopinggefährdeten und nicht gefährdeten Sportarten vorgenommen wird.

Vielmehr wäre es, auch die mannigfaltigen Wirkweisen von Dopingmitteln berücksichtigend, anzustreben, dass jeder Profisportler sich im Meldesystem registrieren müsste.

Ein Blick auf die vorläufige Urteilsbegründung verdeutlicht allerdings, dass diese komplexen Probleme des Sportsektors nur unter großem Begründungsaufwand unter das allgemeine Recht gefasst werden können.

Dass die Luxemburger Richter auch auf den Gesundheitsschutz und die Prävention von Jugend- und Hobbysportlern zurückgreifen, zeugt zunächst von Weitsicht und einer intensiven Auseinandersetzung mit der Problematik.

Auf den Radsport übertragen überrascht dieses Argument dann doch im Kern. Denn gerade als aufgeklärter und halbwegs mit der Geschichte des Sports vertrauter Radsportler sollte jedem klar sein, dass unsere Sportart für Betrüger und Betrugsversuche an den Kollegen sowie am Zuschauer anfällig ist. Im Zusammenhang mit den jüngsten Entwicklungen, rund um das britische Team Sky und Christopher Froome, wurde wieder einmal deutlich, dass es scheinbar weniger um die Frage des „Obs“, sondern vielmehr um den Zeitpunkt der Überführung geht.

In Zeiten von schwer asthmakranken Leistungssportlern mit diversen Ausnahmegenehmigungen zur Einnahme von eigentlich verbotenen Substanzen von einem sauberen Sport zu sprechen, wäre naiv.

Sauberer Radsport seit Einführung des Whereabouts-Systems

Trotzdem lässt sich konstatieren, dass seit der Einführung des Whereabouts-System ein deutlicher Wandel innerhalb der Radszene stattgefunden hat. Hier zeigt sich aber möglicherweise auch, dass der Radsport im Umgang mit Doping vielen anderen Sportarten voraus ist.

Auch hat es einen guten Grund, dass die WADA nur Profis diesem System unterwirft. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat aufgezeigt, dass die Eingriffe in die Athletenrechte doch erheblich sind. Auf den Amateur- und Hobbysport übertragen könnte nun eingewandt werden, dass auch in den Leistungsspitzen dieser Klasse eine stete Kontrolle sinnvoll wäre.

Jedoch ist hier die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu berücksichtigen. Die betroffenen Profisportler bestreiten ihren Lebensunterhalt durch die Wettkämpfe. Auf den Amateursport bezogen könnte zwar das Argument des fairen Wettbewerbs angeführt werden, allerdings reicht dies alleine nicht zur Rechtfertigung einer solchen Maßnahme aus.

Insgesamt ist die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Stärkung der Bestrebungen im Anti-Doping-Kampf und wird die sauberen Athleten und die starken Befürworter des fairen Sports um Marcel Kittel, John Degenkolb und Tony Martin sicherlich erfreuen!

Weitere interessante Artikel:
– Interview mit ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt (Link)
– Das Wunder von Bernd (Hornetz) (Link)
– Bernd Hornetz in den Interview Sessions #005 (Link)
– Emanuel Nösig über seinen Dopingtest in den Interview Sessions #008 (Link)

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