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Das Phänomen Jens Voigt – und warum ist er eigentlich so beliebt?

by Daniel

Er war nie der Glamour-Boy wie heute ein Marcel Kittel, noch hatte er die Coolness eines Peter Sagans – vom Talent eines Jan Ullrich brauchen wir gar nicht erst zu sprechen. Was Jens Voigt ausmachte, war seine Authentizität, seine Angriffslust – aber auch die Bereitschaft sich aufzuopfern. Ein echter Malocher. So entwickelte sich über die Jahre eine bemerkenswerte Marke mit hohen Sympathiewerten. Wenn man aber mal genauer hinschaut: warum eigentlich?

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Shut up Legs“ – dieser Spruch erklärt ziemlich genau die weltweite Popularität von Jens Voigt. Er war sich nie zu fein, er gab immer alles. Stets bis zur letzten Patrone zu kämpfen – für einen Kerl wie ihn eine Selbstverständlichkeit. Beispielhaft seine Helfertätigkeit bei der Tour de France 2010, wo er vor lauter Erschöpfung fast vom Rad gefallen wäre. Die ewigen Kilometer im Dienste seines Kapitäns Andy Schleck zollten ihren Tribut. Unvergessen auch die Aktion bei der Tour im gleichen Jahr als er sich nach einem bösen Sturz das viel zu kleine Rennrad mit Körchenpedalen ausleiht – wenigstens, um die Etappe noch zu beenden. Denn der Besenwagen ist für einen wie ihn keine Option.

Jens Voigt ist einer aus der Abteilung Attacke. Ihm zuzuschauen, hatte Spaß gemacht. Seine authentische Art kam und kommt an, was diese Zahlen eindrucksvoll belegen:

  • 279.000 Fans auf Facebook
  • 228.000 Follower auf Twitter

Zum Vergleich die Facebook-Fans der aktuellen deutschen Profis:

  • Marcel Kittel: 112.000
  • Tony Martin: 60.000
  • André Greipel: 31.000
  • John Degenkolb: 28.000

Radsport in den Nullern

Ich muss offen und ehrlich, und zu meiner Schande, gestehen, dass ich den Namen Jens Voigt erst in den letzten Jahren so richtig auf dem Zettel hatte. Vor allem erst seit 2013, als ich anfing, aktiv Rennrad zu fahren. In den Nullerjahren hatte mich der Velo-Virus noch nicht erfasst – lediglich den Schlachten von Lance Armstrong und Jan Ullrich, da allgegenwärtig im TV, folgte ich aufmerksam. Der Name Jens Voigt und seine durchaus beachtlichen Erfolge, gingen leider an mir vorbei.

Jens Voigt: Ein cooler Typ!

Meine Meinung zu Jens Voigt war daher eher neutral bis positiv. Nach dem Motto: Mensch, das ist ein cooler Typ, ein Malocher, der sich den Arsch aufreißt, der fällt vor Erschöpfung bei der Tour de France fast vom Rad – und der Spruch „Shut up Legs“, der ist ja auch irgendwie lustig.

Bis Youtube ins Spiel kam. Seitdem ich dem Radsport verfallen bin, schaue mir sehr gerne alte Radsport-Videos an. Sei es Jan Ullrich’s Attacke 1997 in Andorra, Cancellara’s Antritt bei der Flandern-Rundfahrt 2010 an der Mauer von Geraardsbergen oder Peter Sagan’s Monster-Antritt bei der jüngsten WM in Richmond – das könnte ich mir gleich mehrmals täglich anschauen. Da bekomme ich Gänsehaut, da bin ich Fan.

Jens Voigt’s fragwürdige Auftritte in den Medien

Vorab möchte ich eins loswerden: Es steht keinem zu, über andere Leute zu urteilen. Ich war nicht Bestandteil des Radsportsystems vergangener Jahre, ich kenne die Abläufe und Gesetze nicht. Jeder kann sich vorstellen, was die Konsequenzen für die jeweiligen Profis gewesen wären, hätte man als einer der wenigen Fahrer nicht nachgeholfen. Nicht die Fahrer, das System war schuld. Meine wärmste Empfehlung sind die Bücher von Tyler Hamilton und David Millar zu dem Thema.

An dieser Stelle verurteile ich nicht das Thema Doping und wer jetzt wen beschissen hat  – es geht mir um die Art und Weise, wie man in der Öffentlichkeit mit dem Thema umgeht. Wie man kein Ehrgefühl hat, wie man drauf scheißt. Wie man seinen Gegenüber mit sonderbaren Vergleichen attackiert und sich in belanglosen Phrasen flüchtet. Und hier rede ich vor allem über Voigts Auftritt in: „Das aktuelle Sportstudio“ im Jahre 2007.

Was geht denn bitte hier ab? Ich traute meinen Augen nicht, als ich vor ein paar Monaten das Video zufällig sah. Jens Voigt war zu der Zeit offizieller Fahrersprecher (Cyclistes Professionnels Associés) im Peloton und zu Gast bei Katrin Müller-Hohenstein. Das Thema waren die damaligen Ermittlungen im Fall Fuentes – der Radsport war am Boden.

Katrin Müller-Hohenstein nagelte ihn immer wieder nett, aber entschieden an die Wand. Immer wieder mit dieser Kernfrage:
„Als offizieller Fahrersprecher, wäre es da nicht seine Pflicht, im Zuge der Dopingermittlungen, zu vermitteln bzw. Lösungsvorschläge seitens der Profifahrer zu erarbeiten?“

Man kann spüren, wie unangenehm ihm dieser Auftritt war – nicht nur, dass das Interview unterbrochen war von langen peinlichen Pausen – auch seine Antworten waren hanebüchen und oftmals an den Haaren herbeigezogen.

Zwei Beispiele:

  1. Da sein Englisch nicht so gut wäre, könnte er zu den aktuellen Dopingvorwürfen nicht mit Ivan Basso sprechen – zu groß wären die inhaltlichen Streuverluste, da bei beiden Englisch nicht die Muttersprache sei
  2. Sein Konter aus dem Nichts, ob der Kameramann seine Spesenabrechnung denn auch korrekt macht? Natürlich kam er auch auf das Thema Jürgen Emig (Korruption) zu sprechen…

Später fand ich noch einen ähnlichen Aussetzer von ihm. Dieses Mal bei einer Spiegel-TV-Reportage (ab 0:30 min.). Hier stellte Voigt dem Reporter allen Ernstes die Gegenfrage, ob er seine Frau betrügt oder auch mal über eine rote Ampeln fährt. Dem noch nicht genug, zitiert Voigt, nun ein bisschen hitziger (ab 2:45 min.) die Bibel: „Nur derjenige, der ohne Schuld ist, darf den ersten Stein werfen.“ Zugegeben, die Fragen der Spiegel-TV Reporter waren schon sehr provozierend, aber da muss man professioneller reagieren.

Und warum ist er jetzt so populär?

Also, ich komme wieder zurück zum Anfang des Berichts: Warum ist Jens Voigt nun so beliebt? Warum ist er so „Big“ in den USA? Andere Sportler hätte man für dieses Verhalten öffentlich geteert und gefedert.

Hat er jemals im Anschluss an diese Aktionen, sein Verhalten kommentiert bzw. erklärt? Nicht, dass ich wüsste und es im Internet vorgefunden hätte.

Und das finde ich an der Stelle wirklich sehr, sehr schade – Jens Voigt ist eine echte Marke, ein grundsätzlich toller Kerl.

Ich hoffe sehr, dass die aktuellen jungen Fahrer um Degenkolb, Kittel und Martin von den Fehlern der Vorgängergeneration gelernt hat. Der Radsport hat es verdient!

Wie findet ihr das Ganze? Stimmt ihr dem zu? Oder stört Euch dieses Verhalten nicht? Sagt ihr: Schwamm drüber, vorbei ist vorbei?

Ich bin gespannt auf Eure Meinungen…

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3 comments

Nils 5 November 2015 - 20:59

Da kann man endlos lange drüber diskutieren. War er nun sauber? Hat er im dopingverseuchten CSC-Team tatsächlich von Nichts gewusst? Lügt Tyler Hamilton, lügt er?

Fakt ist, dass Jens Voigt eine Legende/Marke im oftmals eher langweiligen Peloton war.

Ich werde seine Art vermissen…

LG

Reply
Joe 8 November 2015 - 22:29

Habe ihn 2014 live getroffen und das hat mein ambivalentes Bild nur bestätigt:
Auf dem Rad ein cooler Typ, der sich bis zum Schluss quält und dem die Sympathien verdientermaßen zufliegen. Vom Rad herunter verspielt er all das auch genauso schnell wieder.

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Daniel 8 November 2015 - 22:33

Was hat er denn gemacht als er vom Rad runter war?

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