Wie ernährt sich eigentlich einer, der sehr viel und v.a. sehr lange Rad fährt?
Wie trainiert er seinen Magen, damit die große Menge an Kohlenhydraten aufgenommen werden kann? Stichwort „Train the Gut!“
Ich freue mich sehr, dass die „Ultradistanz-Koryphäe“ Christoph Strasser – er ist wie ich ein Partner von AG1 – uns heute für ein paar Fragen Rede und Antwort steht…
Wer Christoph vielleicht noch nicht kennt – hier ein kurzer Abriss über seinen Palmarès:
Steckbrief Christoph Strasser
- Ultra-Radsportler aus Österreich, Jahrgang 1982
- 6x Gewinner des Race Across America (RAAM)
- 2x Gewinner des Transcontinental Race in 2022 und 2023
- 4x Gewinner des Race Around Austria
- 24-Stunden-Weltrekord auf der Bahn in Grenchen in 2017 mit 941 km
- Fuhr mit einem „normalen“ Fahrrad 1000 km in unter 24h
24-Stunden-Weltrekord auf der Straße in 2021 mit 1026 km - Host des sehr spannenden Podcasts: Sitzfleisch
Mehr Infos zu Christoph und seinen spannenden Projekten findest du direkt hier bei ihm:
www.christophstrasser.at
Sehr zu empfehlen ist übrigens auch sein sehr populärer Podcast „Sitzfleisch“ (mehr Infos!)
Christoph Strasser über seine Ernährung!
Wie bist du über den Winter gekommen? Wurdest du von Infekten einigermaßen verschont?
Der Winter war großartig, ich hatte keine einzige Woche, wo ich das Training auslassen musste, weil ich angeschlagen war. Das ist auch eine meiner großen Stärken, ich dürfte von klein auf mit einem starken Immunsystem gesegnet sein, und das hilft mir auch bei den Langdistanz Rennen – da geht es ja nicht nur um „weit und schnell Rad zu fahren“, sondern man muss bei einem mehrtägigen Event ja auch gesund ins Ziel kommen.
Aber ich tue auch einiges dafür, achte auf eine gesunde Ernährung, nehme auch seit Ewigkeiten Nährstoff-Supplemente (wie unter anderem AG1 und Panaceo) und vor allem: Ich hab mit meinem Coach immer ein super abgestimmtes Training.
Die Belastung ist zwar hoch, aber trotzdem so gut dosiert, dass auch ausreichend Erholungsphasen dabei sind. Man denkt bei Regeneration oft nur an die Leistung, aber es geht auch viel um das Immunsystem, das bei langfristig zu hoher Belastung geschwächt werden kann.
Gemerkt habe ich das vor meinem ersten RAAM 2009, da war ich etwas übermotiviert, hab nach eigenen Plänen trainiert und das Nüchterntraining mit bis zu 6-stündigen Ausfahrten ohne Kohlenhydrate etwas übertrieben.
Da war ich sicher schon geschwächt, als das Rennen startete, und es endete dann mit einem DNF beim Halfwaypoint, nach 4 Tagen Renndauer.
Wie lange trainierst du deinen Magen auf ein solch extremes Event wie zb RAAM? Stichwort Kohlenhydrat-Aufnahme.
Das sind schon einige Wochen im Vorfeld, wo ich mit der Renn-Ernährung beginne. Wobei ich zwischen RAAM und Transcontinental Race aber auch meinem 24-Stunden-Rekord unterscheiden muss.
Beim RAAM ist die Basis Flüssignahrung, das ist eine dickflüssige Mischung, die nach Kakao oder Vanille schmeckt, und Fett, Eiweiß, Kohlenhydrate, sowie alle nötigen Mikronährstoffe enthält, und eigentlich für Krankenhaus Patienten entwickelt wurde, die sich vorübergehend nicht normal ernähren können.
Das sogenannte Ensure trinke ich auch bei langen Trainings, und in den Wochen vor dem RAAM natürlich noch häufiger.
Drei Tage vor dem Start ist dann die feste Nahrung völlig gestrichen, und ich steige komplett auf die Flüssignahrung um, und trinke dann auch nur mehr mein Elektrolyt Getränk, damit ich beim Rennstart total darauf eingestellt bin und die Verdauung sich daran gewöhnt hat.
500 kcal pro Stunde
Ich nehme beim RAAM 500 Kilokalorien pro Stunde zu mir, wobei auch der Fettanteil relevant ist, da ich nicht im hochintensiven Bereich fahre.
Beim 24 Stunden Rekord bin ich viel intensiver unterwegs gewesen, da war meine Durchschnittsleistung 273 Watt (Ich wiege etwa 79 Kilo und meine FTP Schwelle liegt bei etwa 400 Watt, VO2max knapp unter 70 und VLAmax bei 0,2 bis 0,25) und damit habe ich pro Stunde etwa 1000 Kilokalorien verbraucht.
Da war der Anteil an Flüssignahrung viel niedriger, und der Anteil an flüssigen Kohlenhydraten sehr hoch – in Summe war ich den ganzen Tag lang auf über 100 Gramm pro Stunde. Dazu habe ich regelmäßig noch Gels genommen.
Und dann sind da noch die unsupported Rennen, da schaue ich vorher natürlich auch, dass ich mich an die Nahrung gewöhne, die es unterwegs geben wird – aber da ist es ziemlich normal mit fester Nahrung und je nach Verfügbarkeit in Shops entlang der Strecke immer unterschiedlich.
Insofern muss ich da nicht speziell trainieren, denn Sandwiches, Weißbrot, Riegel usw… sind jetzt nicht wirklich außergewöhnlich.
Versuchst du beim RAAM oder anderen Ultraevents auf 120 g Kohlenhydrate pro Stunde zu gehen?
Wie schon oben erwähnt ist das unterschiedlich, und nicht bei jedem Langstrecken Event nötig. Beim RAAM oder beim Transcontinental fahre ich nicht im oberen Leistungsbereich, sondern im Grundlagenbereich, wo der Kohlenhydrat Bedarf nicht so enorm ist.
Beim 24 Stunden Rekord, wo ich mit über 42km/h Durchschnitt gefahren bin, war das Ziel die Kohlenhydrate so hoch wie möglich zu halten. Ich muss aber ehrlich gesagt zugeben, dass ich gar nicht weiß, über welchen Zeitraum das noch weiter möglich wäre.
Diesen Tag lang habe ich es ausgehalten, aber gegen Ende hin war ich auch verdauungsmäßig am Limit. Außerdem war es wirklich all-out, ich habe mich also komplett verausgabt, und diese Intenstität könnte ich nicht länger fahren, und somit reduziert sich auch der Energiebedarf bei Rennen, die länger als einen Tag dauern.
Nimmst du präferiert Riegel, Gels, Pulver zu dir oder gibt es auch mal Gummibärchen und Schokolade während dem Wettkampf?
Im Idealfall bleibe ich unterwegs bei meinem Ernährungskonzept, vor allem wenn ich mein Betreuerteam mit dabei habe, ist die Verpflegung ausschließlich flüssig – da habe ich dann nur Ensure Flüssignahrung, Peeroton Drinks und Guarana Shots von Panaceo, sowie bei Bedarf Salztabletten oder Magnesium und Multimineral Tabs.
Bei unsupported Rennen ist das aber komplett anders, da bin ich unterwegs darauf angewiesen in Shops oder bei Tankstellen aufzutanken.
Anfangs war da die fürchterliche Cola & Snickers Diät angesagt, aber da bin ich auch schlauer geworden. Natürlich kann ich damit auch fahren, denn unterwegs kann der Körper erstaunlicherweise so ziemlich alles verbrennen, was du dir einwirfst, solange es der Magen aushält und du genug Zucker bekommst.
Schokriegel & Cola sind Notlösung
Aber die Wochen nach dem Transcontinental (ca 4000km in 8 Tagen unsupported durch Europa) waren ganz schlimm, ich habe ewig gebraucht um mich zu erholen und wieder in Form zu kommen. Mittlerweile sind Schokoriegel und Cola nur mehr die Notlösung, wenn ich nichts anderes bekommen kann.
Beim zweiten Transcontinental hatte ich mir selbst einen dickflüssigen Sirup meines Kohlenhydratpulvers gemischt und in zwei zusätzlichen Flaschen mitgenommen, damit ich so lange wie möglich gut versorgt bin und solange ich diesen Vorrat habe nur Wasser besorgen muss.
Danach habe ich unterwegs viel Dosenfisch, Weißbrot und Dicksaft/Fruchtsirup gekauft, außerdem hatte ich BCAAs dabei, weil damit eine Grundversorgung an Proteinen gewährleistet bleibt. Während ich nach meinem ersten TCR 2022 offensichtlich viel an Muskulatur verloren habe, war ich beim zweiten Mal danach sehr bald wieder gut in Form und habe mich viel schneller erholt, weil ich während des Rennens nicht so viel von meinen Reserven verbraucht habe.
Was ich also gelernt habe: Durchkommen tut man mit zuckerhaltigen Futter auch, aber wenn man unterwegs auch auf Proteine achtet und weniger Junk-Food futtert, fährt man zwar nicht wirklich schneller, ruiniert sich damit aber weniger.
Wenn solch ein extremes Event vorbei ist, was willst du als erstes danach essen? Oder ist dein Magen dann komplett „zu“? Und du kannst erst mal gar nichts essen?
Je nachdem was da ist, worauf ich Lust habe, und wie es mir gerade geht. Meistens ist der Appetit riesig, aber die Müdigkeit ist stärker.
Beim RAAM war es mal so, dass ich die letzten Tage nur mehr von einem riesigen Steak mit Salat geträumt habe. Die Realität war dann so, dass wir nach dem Ziel bei einem Fast-Food-Laden Pommes und Burger (was sonst, im Land der fettigen Hamburger?!) geholt haben, ich aber nach 3 Pommes am Weg ins Quartier eingeschlafen bin und meine Betreuer den Rest aufgegessen haben.
Oder ich bestellte Vorspeise, Suppe, Salat und Steak und bin nach den ersten drei Bissen schon so satt, dass ich den Rest abgeben muss, weil der Magen durch die Flüssignahrung der letzten Tage so klein geworden ist, dass ich kaum was reinbringe.
Aber in den Tagen nach dem Race normalisiert sich alles recht schnell wieder, und ich fülle dann den Gewichtsverlust von idealerweise 3-4 kg sehr schnell wieder auf.
Kannst du uns deine Kohlenhydrat Getränke mit der Zusammensetzung einmal näher beschreiben?
Mittlerweile haben sich die Kombinationen aus Glukose und Fructose glaube ich durchgehend etabliert, weil die Aufnahme der einzelnen Kohlenhydrat Quellen limitiert ist.
Der Magen-Darm-Trakt kann pro Stunde, je nach individueller persönlicher Gewöhnung und Qualität der Zutaten, ungefähr 60 Gramm Glukose und 30 Gramm Fruktose aufnehmen, wenn man beide kombiniert dann etwa 90 Gramm. Übt man das im Training, gehen für eine gewisse Zeit auch bis zu 120 Gramm pro Stunde.
Ich hatte nach meinen Erfahrungen beim RAAM dann die Idee, mit einem Hersteller gemeinsam etwas eigenes zu entwickeln und habe beim österreichischen Produzenten „Peeroton“ dann einen tollen Partner gefunden, mit dem wir den „Hi-End-Endurance“ auf den Markt gebracht haben.
Zusätzlich haben wir auch noch BCAAs und Glutamin (um die Ermüdung der Muskulatur zu verringern), Inulin (zur Unterstützung der Darmflora) und Kalium und Natrium, sowie einige Elektrolyte beigefügt.
Dieses Sportgetränk ist für mich die Basis, Gels und Riegel nehme ich nur bei langen Ausfahrten als Proviant für unterwegs mit, dazu noch einen Beutel mit Pulver, damit ich unterwegs nur Wasser brauche, und mir noch weitere Trinkflaschen anmischen kann.
Gibt es bei dir auch Phasen im Training (zum Beispiel Winter), wo du mal probierst, mit weniger Kohlenhydraten zu trainieren oder kommt das dir gar nicht erst in die Tüte? Gefühlt war das Thema Low-Carb früher ein größeres und gerät aufgrund der Studienlage eher in den Hintergrund.
Ich habe vor vielen Jahren ganz viel und auch längere Einheiten komplett nüchtern absolviert. Ich habe gemerkt, dass die Form damit sehr schnell sehr gut wird, aber es kann eben auch negative Auswirkungen haben, das ist ein schmaler Grat und sollte nicht einfach übermütig praktiziert werden (siehe Frage 1).
Da heißt es sich heranzutasten und auch mit einem Experten, Ernährungsberater oder Doktor darüber zu sprechen. Aber ja, in entschärfter Form mache ich das immer noch, auch wenn die Nüchtern Einheiten nur mehr 60 bis 90 Minuten lange sind, oder ich dann während des Trainings beginne zu essen oder kohlenhydratreiche Getränke zu mir zu nehmen.
Wenn ich ein Nüchterntraining mache, ist aber auch die Einheit am Tag davor darauf abgestimmt, wie zum Beispiel eine high-intensity Einheit mit danach kohlenhydratreduzierter Mahlzeit (zB: Salat mit Fisch und Gemüse) um die Speicher nicht aufzufüllen.
Wenn ich mir abends noch Pasta und hinterher Kuchen einwerfe, ist das Nüchterntraining am nächsten Tag ziemlich sinnlos.
Generell ist es so, dass mir mein Trainer aber genau vorgibt, wie viele Gramm pro Stunde ich mir beim Training einwerfen sollte, von 30g/h bei total niedrigen Grundlagen Einheiten bis zu 100g/h bei sehr harten Ausfahrten.
Was man auch beachten muss:
Nehme ich beim Training zu wenig zu mir, kann ich die Einheit zwar schon irgendwie durchdrücken, aber ich werde viel schlechter regenerieren. Daher ist das Ziel meistens, die Glykogen Speicher beim Training nicht komplett zu entleeren, bzw. recht hoch zu halten.
Wie sieht bei dir eineigentlich typisches Frühstück im Training aus, wenn du eine mittelschwere bis schwere Einheit vor dir hast? Und wie sieht das Frühstück aus, wenn du eine lockere Einheit am selben Tag hast?
Am liebsten habe ich Reis, Kartoffeln oder Pasta, wobei ich generell versuche die Getreideprodukte wie Brot und Nudeln eher reduziert zu essen.
Zuviel davon kann den Darm belasten. Aber ich bin da wirklich sehr pragmatisch und koche mir vor dem Training fast immer etwas Warmes.
Da ich kein Frühaufsteher und auch kein großer Frühstücker bin, würde ich mein Essen dann eher als vorgezogenes Mittagessen bezeichnen.
Also ich wärme das, was vom Abendessen tags zuvor noch übrig ist, auf und mache etwas angebratenes Gemüse und drei Eier dazu. Wir kochen wirklich immer selbst, und das Abendessen wird immer schon so dimensioniert, dass ich für den nächsten Tag noch was habe, das reduziert den Aufwand beim Kochen.
Wenn es abends zum Beispiel Gemüsereis mit Fisch und Salat gibt, folgt am nächsten Vormittag Reis. Essen wir am Abend Kartoffelauflauf, gibt’s am nächsten Vormittag Kartoffeln mit Ei.
Und wenn die Einheit locker ist, dann ist die Portion einfach kleiner. Wie gesagt, sehr pragmatisch und einfach gehalten :-)
Mehr Infos zu Christoph und seinen spannenden Projekten findest du direkt bei ihm:
www.christophstrasser.at
Sehr zu empfehlen ist übrigens auch sein sehr populärer Podcast „Sitzfleisch“ (mehr Infos!)
Fotos: privat, Christoph Strasser