Im letzten Jahr setzte der junge Sportwissenschaftler Markus Hertlein aus Salzburg ein echtes Ausrufezeichen: Mit 7:09 Stunden schrammte er knapp an den Top 10 des Ötztaler Radmarathons vorbei. Nach mehrmonatiger „Verletzungspause“ feierte er beim Arlberg Giro Ende Juli sein Comeback, bei dem er als SpeedVille Reporter eingeladen war. Von Taktik, etwas zu viel Gewicht und verlorenen Watt berichtet Markus aus St. Anton.
Von Markus Hertlein
Ich sitze im Auto, die drei Stunden Rückfahrt von St. Anton nach Salzburg vergehen wie im Flug. Mein Kopf ist damit beschäftigt, all die Eindrücke von einem tollen Wochenende zu verarbeiten.
Und das waren eine Menge.
Von Anfang an:
Bei der Ankunft am Freitagabend bin ich gespannt, was mich, abgesehen von 150 km mit 2500 hm eingebettet in toller Landschaft, erwarten wird.
Buntes Rahmenprogramm
Das Rahmenprogramm, welches ich im Vorfeld vom OK-Team und dem Tourismusverband zugeschickt bekommen habe, liest sich vielversprechend: Am Abend trifft sich meine „Pressegruppe“ aus Mitgliedern des OK-Teams, Verantwortlichen des Tourismusverbandes aus St. Anton und eingeladene Journalisten, Bloggern und Fotografen im stilvollen Ambiente des Skimuseums von St. Anton zum Abendessen.
Auch am Samstag, einen Tag später, warten weitere Highlights auf mich: Zunächst eine gemütliche Wanderung durch die „Mühltobel Schlucht“ am Morgen zum weltberühmten Mooserwirt, danach eine lockere Einrollrunde mit dem sympathischen Vorjahressieger Patrick Haagenars auf den Arlbergpass, denn schließlich sind wir ja zum Radfahren hier.
Damit aber noch nicht genug.
Unmittelbar nach dem Mittagessen folgt eine Gondelfahrt hinauf zur berühmt berüchtigten, auf 2809 m gelegenen Valuga, die im Winter als Eldorado der Freerider im Alpenraum gilt – aber auch im Sommer fasziniert die Aussicht auf die umliegenden, teilweise noch immer schneebedeckten Gipfel der Verwallgruppe.
Kribbeln in der Luft beim Profikriterium
Wieder zurück in St.Anton herrscht in der Fußgängerzone Volksfeststimmung und die ersten Elitefahrer rollen sich auf dem spektakulären, mit einigen winkeligen Passagen garnierten Kurs für das traditionelle Elite-Kriterium am Vorabend des Arlberg Giros ein.
Ein Kribbeln liegt in der Luft.
Die Cafés und Absperrgitter am Streckenrand sind von radsportbegeisterten Menschen gesäumt. Über dem gesamten Ort liegt eine ausgelassene Stimmung.
Pünktlich zum Abendessen ist das mit dem Worldtour-Profi Emanuel Buchmann und vielen deutschsprachigen Eliteteams stark besetzte Einladungskriterium der Elite Herren beendet und wir widmen uns im Hotel den wirklich wichtigen Dingen des Radsports: Glykogenspeicher auffüllen.
Morgen warten schließlich 4-6 Stunden Schwerstarbeit auf uns.
Das Rennen: Der Arlberg Giro
4:45 Uhr, der Wecker klingelt. 13 Grad und trocken. Die ersten Sonnenstrahlen tauchen die umliegenden Gipfel in morgendliches Licht und lassen auf einen perfekten Radtag hoffen.
Unser Hotel liegt perfekt. Geschätzte 15 Sekunden mit dem Rad und wir stehen an der Startlinie im ersten Startblock. Die Ausgangsbedingungen für ein tolles Rennen könnten also nicht besser sein.
Für mich persönlich ist es mein erster Arlberg Giro auch mein erstes wirkliches Rennen der Saison. Entsprechend niedrig sind meine Erwartungen für heute.
Aus den obligatorischen Taktikdiskussionen des Vortags ließ sich erahnen, dass die Streckenführung mit dem 20-minütigen Anstieg auf den Arlbergpass direkt nach dem Start zwar für eine kurzzeitige Selektion sorgen kann, bis zum Einstieg in die Silvretta Hochalpenstraße dürfte sich diese jedoch vermutlich wieder egalisieren haben.
Strategische Gedanken
Die lange, im unteren Teil nicht besonders steile Abfahrt Richtung Bludenz, sorgte in der Vergangenheit oft dafür, dass das Tempo durch die leichteren Bergfahrer, die in der Spitzengruppe vertreten waren, etwas verschleppt wird.
So konnte die zweite große Gruppe auffahren, um dann in einem großem Feld in Richtung Silvretta Hochalpenstraße zu rollen. Die zweite Gruppe war sicher nicht mein Ziel, aber nach den ersten 10 Minuten Anschlag bei 310-330 W und der trotzdem gleichzeitig langsam entschwindenden Spitze, war dies der Hoffnungsschimmer, der mich bis zur Passhöhe trug.
Leider sollten sich diese taktischen Überlegungen als falsch herausstellen.
Zwar befand ich mich auf der Arlbergpasshöhe an der Spitze der zweiten Gruppe, allerdings füllte sich diese im Laufe der Abfahrt nur von hinten auf, ohne den Abstand zur ca. 30 Mann großen Spitzengruppe verkleinern zu können.
Dennoch fuhren wir, ebenfalls ca. 30 Mann, „relativ“ homogen im zügigen Tempo bis zum Einstieg in die Silvretta-Hochalpenstraße, dem Highlight und der Schlüsselstelle des Arlberggiros.
300 Watt gehen noch nicht
Diese Seite der Silvretta kannte ich persönlich noch nicht, aber „Strava“ sei dank, war ich auf 27 Minuten mit vielen Kehren, kurz unterbrochen von einem Flachstück, und anschließend nochmal 10-15 Minuten in etwas flacherem windanfälligerem Gelände bis zum höchsten Punkt auf der Biehler Höhe eingestellt.
Den optimistischen Plan von 290-300W über den gesamten Anstieg musste ich schon früh über Board werfen und so pendelte ich mich bei 260-270W ein – „Jaufenpace“ vom letzten Jahr. Damals aber mit einem deutlich konkurrenzfähigerem Kampfgewicht.
Nach 51 Minuten erreichte ich die auf 2037 m gelegene Passhöhe.
Eine schnelle Gruppe mit einigen Bekannten war noch in Sichtweite, doch das Schicksal vom Arlbergpass sollte sich wiederholen. Nach vorne konnte ich mit meinen zwei Mitstreitern keinen Boden gut machen und unsere Gruppe füllte sich wieder von hinten auf.
Homogene Gruppe nach St. Anton
So fand ich mich im Laufe der Abfahrt in einer 10 Mann starken Gruppe wieder, die bis zum Ziel gut funktionierte. In wenigen meiner Rennen habe ich eine ähnlich gut harmonierende Gruppe erlebt. Kein Taktieren, keine Führungen auslassen, jeder machte seine Arbeit und der Kreisel lief über die kompletten letzten 60 Kilometer einwandfrei.
Auch wenn die nächste Gruppe leider nicht mehr in Sichtweite kam, geil war’s trotzdem und so endete mein erfolgreicher Wiedereinstieg ins Renngeschehen nach 4:21 Stunden in der Fußgängerzone von St. Anton.
Kaputt, aber zufrieden!
Fazit des Arlberg Giros
Die Analyse der Werte aus dem Rennen zeigt, dass die Leistungswerte nach nur eineinhalb Monaten Training schon wieder auf einem respektablem Niveau sind, auch wenn im Vergleich zur Vorsaison noch sehr viel fehlt.
Ich bin gespannt, wie viel „Form“ ich in einem Monat bis zum alljährlichen „Treffen in Sölden“ noch herausholen kann.
Der Arlberg Giro, hinter dem ein Team aus engagierten Einheimischen steht, die sich viele Gedanken über die nachhaltige Nutzung der touristischen Ressourcen ihrer Heimat machen, ist wirklich eine Reise wert.
Einerseits lässt die Streckenführung durch malerische Landschaften mit Highlights, wie der Silvretta Hochalpenstraße, die Quälerei etwas leichter erscheinen, doch vor allem die Stimmung, die am Rennwochenende im 2632 Einwohner zählenden Dorf herrscht, ist außergewöhnlich.
Wo viel Licht ist, da gibt es auch Schatten:
Da der Zeitpunkt des Arlberg Giros mitten in der touristischen Hochsaison liegt, ließe sich wohl nur mithilfe einer kurzzeitigen Streckensperrung das hohe Verkehrsaufkommen während des Rennens bändigen.
Im Aufstieg zur Biehler Höhe kam es beispielsweise in meiner Gruppe zu einigen kniffligen Situationen mit überholenden Autos, die dann plötzlich im Gegenverkehr feststeckten, weil auf der rechten Seite alles mit Radfahrern blockiert war.
Durch die niedrige Geschwindigkeit gab es keine gefährlichen Situationen, aber die Laune der Autofahrer sowie der Teilnehmer stieg dadurch sicher nicht.
Apropos Laune und Verkehr.
Mittlerweile musste auch ich die Perspektive wechseln und stecke im obligatorischen Urlaubsverkehr am Chiemsee fest: Die Blechlawine aus Touristen bahnt sich langsam ihren Weg in Richtung Salzburg.
Doch die Nachwirkungen des Arlberg Giros lassen mich die letzten zähfließenden Kilometer in Richtung Heimat auch noch gut überstehen.
Fotos: Patrick Säly
Interessante Links:
– Markus berichtet von seinem Wintertraining (Link 1, Link 2)
– Daniel berichtet aus den Tiefen des Pelotons vom Arlberg Giro 2016 (Link)