Einfach mal den Alltag hinter sich lassen und den ganzen Tag das tun, was wir alle lieben:
Mit dem Rennrad unterwegs sein.
Losgelöst von jeglichen Verpflichtungen und Terminen mal wieder richtig das Freiheitsgefühl erleben und sich dabei nur um die lebenserhaltenden Maßnahmen kümmern:
Essen und schlafen.
Wenn das noch mit einer wahnsinnigen Umgebung abgerundet werden könnte, dann kann das doch eigentlich nur ein Traum sein, oder?
Der Plan: Bikepacking Trip in den Alpen
Von Laurin Krohn (@krohnlaurin)
So, oder so ähnlich, haben mein Kollege und ich auf der gemeinsamen Standardrunde im Kölner Westen durch die Gegend philosophiert, als sich die persönlichen Ereignisse mal wieder überschlugen und dieser verträumte Gedanke auftauchte.
Nach kurzem Hin und Her kam dann der Entschluss, komm, wir ziehen das Ding durch.
Nachdem jegliche W-Fragen aus dem Weg geräumt werden konnten, wurde alles fix gemacht.
München > Innsbruck > Bozen > Reschenpass > Konstanz
Unser Plan?
Start in München und über Innsbruck (siehe Daniels Fotobericht von der UCI WM in 2018!), Bozen, vorbei am Stilfser Joch nach Konstanz.
4 Tage 700km und 7500 Höhenmeter nonstop volle breitseite Alpen.
Nur mit Isomatte, Schlafsack und gefühlt nur einer Unterhose als Wechselklamotte.
Wo und wie wir schlafen werden haben wir komplett offengelassen, eine Wanderhütte oder ähnliches wird sich schon finden war unser Gedanke.
Komfortzone und Handybatterie: 0%
Man kann also schon erahnen in welche Richtung dieser Trip gehen sollte. Raus aus der Komfortzone und rein in ein Bikepacking-Abenteuer allererster Güte.
Vorbereitung? Gibt’s nicht, einfach mal machen!
Je näher der erste Tag kam, desto mehr stieg die Vorfreude.
Als dann auch noch der Wetterbericht durchgehend Sonne auf der gesamten Strecke prognostizierte (uns es ist dann auch tatsächlich so eingetreten) fühlten wir uns wie ein Formel-1-Wagen kurz vor dem Start:
Gaspedal gedanklich schon durchgedrückt und ready for the show!
In München bei Sonnenschein losgerollt ließ der erste Glücksmoment nicht lange auf sich warten.
Am Starnberger See vorbei mitten rein ins Glück!!!
Am Starnberger See vorbei zeigten sich das erste Mal die Berge! Was für ein Anblick! Mal was anderes als die Kölnberge.
Motiviert und demütig zugleich legten wir die Kilometer bis zu den ersten kleinen Anstiegen flott zurück.
Immer im Blick, ein unfassbares Alpenpanorama!
Im Prinzip lässt sich der Tag und eigentlich auch die gesamte Tour auf einen einfachen und leicht primitiven Satz runterbrechen:
Zwei Jungs fahren mit offenem Mund und gedanklich sabbernd ihrem Glück entgegen.
Am Abend wartete ein weiteres Highlight auf uns.
Krass steile Abfahrt nach Zirl
Nachdem wir die unfassbar steile Abfahrt von Seefeld in Tirol nach Zirl runtergebrettert sind, dass die für Radfahrer eigentlich verboten ist, blenden wir an der Stelle einfach mal aus, war der erfrischend kalten Fluss genau das Richtige.
Da die Sonne schon hinter den Bergketten von Innsbruck verschwand ging es relativ zügig weiter mit der Schlafplatzsuche.
Übrigens, geschlafen wurde auf der Bank
Schnell wurde klar, der Spielplatz und seine Bank muss reichen.
Bis auf einen kurzen Polizeibesuch in der Nacht, die anscheinend von besorgten Anwohnern gerufen wurden (der Anblick von zwei halbnackten Kerlen in Spandex war wohl eher ungewöhnlich), lief alles reibungslos.
Morgens dann die Erkenntnis:
An ein Boxspringbett (wie Zimmer 1 + 2 im Eifelcamp) mit doppelter Federung kommt eine Isomatte vom Komfort her nicht dran, aber egal.
Soll ja auch keine 5 Sterne Reise mit all-inklusive Verpflegung werden.
Bikepacking bedeutet: Arm leben und reich beschenkt werden!
Beschenkt wurden wir dann am zweiten Tag mit der Auffahrt zum Brenner.
Die Sehnsucht nach Bella Italia wurde bei jedem gefahrenen Kilometer immer größer und oben am Brennerpass angekommen, hieß es auch dann direkt runter vom Rad, rein ins Cafe und einmal einen Caffee doppio bitte!
Die Sehnsucht nach Bella Italia wuchs
Spätestens jetzt wurde klar, dass das eine ganz wilde Nummer ist, die wir hier abreißen.
Ein Lebensgefühl, was unbeschreiblich ist. Fühlt sich so dolce vita an?
Mit diesem Enthusiasmus ging es dann auch auf direktem Weg weiter nach Bozen.
Bei 32° nicht immer eine entspannte Reise.
Nachdem wir uns im Fluss in Bozen abgekühlt (und die Radbuchse kurz ausgewaschen) hatten, die Beine sich wieder gut drehten stand dann der Plan für den heutigen Tag:
So viele km wie möglich machen, damit man für die schwere Bergetappe am 3. Tag ordentlich Zeit hat.
Bikepacking DOs and DONTs
DOs 👍
- Bargeld, nicht in jedem Bergdorf ist der Trend der bargeldlosen Bezahlung angekommen
- Biologisch abbaubare Seife, sowohl für Körper und Klamotten, dadurch erspart man sich doppelte Kleidungsstücke und kann immer mal wieder für ein Frischegefühl sorgen
- Schwere Sachen in den Taschen nah am Rahmen verstauen, dadurch verhält sich das Rad in brenzligen Situationen noch einigermaßen direkt
- Kleine Stirnlampe mitnehmen. Ist sehr hilfreich, wenn man nicht nachts das eigene Fahrrad anpinkeln möchte
- Kleine Packung Sonnencreme mitnehmen, wenn man den ganzen Tag draußen unterwegs ist, dann immer mal wieder nachschmieren. Die Haut wird es dir danken!
- Die Öffnungszeiten im Blick behalten. Meist schließen die Supermärkte in den ländlichen Regionen viel früher. Ist man erst nach Ladenschluss da kann das eine sehr harte Nacht werden
DONTs 👎
- Blind durch die Gegend fahren und auf die Rücksicht der Autofahrer vertrauen. Der (Stadt)-Verkehr ist in anderen Ländern, vor allem Italien, ganz anders
- Zahnbürste kürzen, beim Zähne putzen hat man die halbe Hand im Mund
- In anderen Ländern konsequent auf Deutsch bestellen
- Wie ein weiser Coach (Kenny) mal sagte: „Heute schon an morgen denken.“ Die Regeneration wird nicht auf höchstem Niveau sein, deswegen an den Anstiegen nicht grundlos überziehen und immer mal wieder bewusst Pausen machen. Der km/h – Durchschnitt ist egal
- Extra ein Luftkissen für Outdoor-Camping mitnehmen. Man kann auch für die Nacht die Wechselklamotten in die Tasche vom Schlafsack packen und hat so ein angenehmes Kissen
Geheimtipp: 2. Nacht in Latsch
In einem kleinen Dorf namens Latsch angekommen, hatten wir uns den leicht abgelegenen Festplatz als Schlafplatz ausgemacht.
Da dieser mit einem durchgehend fließenden Brunnen bestückt ist, ist der Platz für potentielle Nachahmer, die eventuell die Route nachfahren möchten (siehe meine Touren bei Strava!) ein absoluter Geheimtipp!
Ebenfalls ein Geheimtipp ist in diesem Ort die Pizzeria Jolly.
Nette Bewirtung, große und leckere italienische Pizzen und ein guter Hauswein!
So kann man einen langen Tag im Sattel ausklingen lassen!
Das Thema Verpflegung ist auch noch ein erwähnenswerter Punkt.
EVM = Essensverwertungsmaschine
Manchmal haben wir uns wie eine lebende Essensverwertungsmaschine gefühlt (Anm. d. Red., diese Info ist uns von Laurin im Bikecamp komplett neu!!! NOT! Stichwort: Abends um 23h nochmal 3-4 Waffeln).
Alles war gut genug, um den Hunger (Laurin hat viel Hunger!) während der 4 Tage (und 7500 Höhenmeter) zu stillen.
Um auch mal einen Ausgleich zu den ganzen Keksen zu bekommen, befand sich nicht selten eine Packung Würstchen in meiner Trikottasche.
Optimale Versorgung (siehe die 75 Rezepte für Radsportler von Robert Gorgos!) hin oder her, es hat funktioniert.
Energydrinks zum Frühstück
Am dritten Tag, mittlerweile wurden neben Kaffee auch Energydrinks zum Frühstück getrunken, ließ der erste Berg nicht lange auf sich warten, der Sonnenberg.
Wieso er so heißt, wurde schnell klar.
2km geradeaus, 10% im Durchschnitt, bei 31° kein einziger schattenspendender Baum und nicht selten stand 15% auf dem Tacho.
Mit ca. 16kg unter dem Hintern (und 86 kg auf der Waage) kein allzu leichtes Unterfangen.
Der Schweiß lief wie aus Eimern und die Erwartung für den heutigen Tag wurde gesetzt.
Traumhafter Reschensee
Vorbei am Stelvio ging es über dem Reschensee nach Nauders und man arbeitete sich Anstieg für Anstieg voran.
Bis dann der Absch(l)uss des Tages wartete, der Arlbergpass.
Für mich ein Kampf und Krampf.
Irgendwie hat mir die Sonne und der Tag insgesamt den Stecker gezogen und so ging es nur langsam, dafür aber stetig den Arlberg hoch.
Oben dann schließlich angekommen, hieß es dann nur noch runterrollen und rein in einen Campingplatz.
Was ein erhabendes Gefühl, wenn man im Sonnenuntergang durch solch ein Panorama fährt!
Nach den Strapazen wurde einstimmig entschieden:
Nur wegen des Bikepacking-Willens muss man sich nicht kasteien und so nahmen wir uns ein Zimmer.
Die Müdigkeit siegte.
Letzte Etappe nach Konstanz
Nach einem komatösen Schlaf in Spandex ging es morgens auf die letzte und sehr flache Etappe nach Konstanz!
Am Bodensee schließlich angekommen, wollten wir eigentlich direkt wieder umdrehen, denn die Erkenntnis, dass selbst der schöne Bodensee nicht mit der Schönheit der Alpen konkurrieren kann, traf uns doch sehr schnell!
Ich denke, dass war nicht das letzte Mal, dass wir so etwas unternommen haben.
Spätestens bei der alljährlichen Winterdepression wird das Thema wird hochkommen!
Wie haben wir gepackt?
- Große Satteltasche. Hier auf gute Qualität setzen, da sie sonst sehr wackelt! Hier waren Isomatte, kleine Wechselklamotten und Elektronik (in Plastiktüten, weil regenfest) drin
- Rahmentasche. Aufpassen, dass diese nicht zu breit bauen, sonst scheuert man sich die Beine auf. Hier war z.B. die Regenjacke und alle restlichen Kleidungsstücke drin. Tipp: Die Rahmentasche so kaufen, dass noch ein Flaschenhalter gut nutzbar ist. Dort kann man dann eine große Flasche verstauen. Das reicht als Wasser-Versorgung
- Lenkertasche. Hier darauf achten, dass sie nicht zu weit nach unten hängt, dadurch am Reifen schleift und auch sehr fest am Lenker verbaut ist. Das nächste Schlagloch ist nicht weit entfernt
- Kleine Schlauchtasche. Die ist gerade groß genug um sie überall am Rahmen zu befestigen. Dort kann man separat Hygiene-Produkte verstauen. Dadurch sind sie immer gut griffbereit und wenn sie auslaufen, dann löst es keine Katastrophe aus
Kosten?
- Für 4 Tage ca. 150€. Das Geld ging ausschließlich für Essen drauf. Morgens haben wir Haferflocken mit Bananen, Joghurt, Keksen gegessen. Mittags dann im Supermarkt verpflegt und den Abend in den örtlichen Restaurants ausklingen lassen. Das würde definitiv noch günstiger gehen, aber man will auch mal abends die Pizzeria unsicher machen
Fazit: Nicht lang lamentieren: machen!
Alles in allem können mein Kollege Tizian und ich festhalten, dass solch ein Alpen-Cross etwas ist, was eigentlich jeder abenteuerlustige Radsportler mal gemacht haben sollte!
Draußen schlafen ist mit dem richtigen Equipment überhaupt kein Problem und wenn es doch mal ruppig werden sollte, dann entschädigt die ständig grandiose Aussicht für die Strapazen!
Und falls einer sich so etwas nicht zutraut:
Es steckt immer mehr in einem drin wie man denkt! Wie ich am Anfang schon sagte: Einfach mal machen!
Herzlichst,
Laurin
Fotos: privat