Meine Premiere.
Es ist tatsächlich meine allererste live Begegnung mit dem Bahnradsport.
Also in Wettkampfsituation.
Selbst bin ich zwar mal in Augsburg auf der Bahn zu Aerotestzwecken gefahren – das andere Mal war im Tissot Velodrome in Grenchen im Rahmen meines Besuchs in der Schweiz (Romandie).
Zugegeben. Bahnrad hat was.
In Zeiten von medialer Heroisierung der Straßenradfahrer und aufkommenden hippen Trends wie Fixed Gear Rennen auf abgesperrten Kartbahnen mit knalligen Beats aus Lautsprechern, fühlt sich das hier noch wie ehrlicher „Arbeitersport“ an.
Echter (Arbeiter) Sport!
Keine Starallüren. Kein Schnickschnack.
Eine Gruppe Gleichgesinnter, die ihren Sport fröhnen wie er gefühlt schon seit über hundert Jahren betrieben wird.
Kopf runter und elegant surrend über die Holzbahn.
Wenn ich den Bahnradsport nur besser verstehen würde.
Bahnrad WM in Berlin 2020
Mir war natürlich seit längerem, klar, dass ich in diesem Jahr die Bahnrad WM in Berlin besuchen würde – entsprechend hatten Freddy Böna und ich diesen mega umfangreichen A-Z Artikel erstellt (Bahnradsport Regeln einfach erklärt – alles was du wissen musst!), um uns entsprechend auf die Bahnrad WM vorzubereiten.
Wenn du aber dann mal selbst im Innenraum des Runds stehst, dann sieht die Welt bekanntlich schnell ganz anders aus.
Richtig viel Action. Und Gewusel.
Muskulöseste Oberschenkel allerorten
Athleten und Athletinnen mit immensen Oberschenkeln und gestählten Oberkörpern – wie man es im Straßen-Radsport schon lange nicht mehr kennt – die sich auf unzähligen Rollentrainern für die anstehenden Wettbewerbe warm fahren.
Der Blick meist ins Leere gerichtet.
Auf ihren Ohren die heutzutage üblichen dicken Kopfhörer, um sich nicht vom Geruschel drumherum ablenken zu lassen.
Let’s bring it on!
Meine Aufarbeitung der beeindruckenden Bahn-WM im Berliner Velodrome mit diesen 5 Erkenntnissen…
1) Die Stars der Szene hautnah!
Denke ich über die Bahnrad WM in Berlin nach, dann bleibt sicherlich dieser Punkt in ganz großer Erinnerung.
Als akkreditierter Blogger hatte ich ja das Privileg, in den Innenraum des Velodromes zu gelangen.
Mittendrin also unter all den Betreuern, Journalisten aus aller Herren Länder – und natürlich den Fahrern.
Kaffe, Kartenspielen & Zeit vertreiben
Mega interessant zu sehen, wie sich die Fahrer in ihren kleinen Boxen aufhielten und mit allerlei Ablenkungen die Zeit überbrückten, bis ihr nächster Wettbewerb anstand.
Ich war zwar schon bei einigen Profiradrennen auf der Straße dabei, so hautnah wie hier kam ich den Stars der Szene aber wirklich nirgends.
Ohne euch jetzt was vom Pferd zu erzählen, ich kenne mich in der Bahn-Profiszene jetzt nicht wirklich gut aus, aber einen Maximilian Levy erkennst du, wenn er vor sir steht.
Modellathlet mit mächtigen Beinen, eine Frisur wie ich – einfach eine krasse Erscheinung.
Fotogalerie zur Bahnrad WM
Bildunterschriften
- Der ehemalige Verteidigungsminister und jetzige BDR-Präsident Rudolf Scharping inmitten des Trubels
- Der junge Mann sah nach ner Menge Schmackes aus
- Diesen spanischen Mechaniker brachte so schnell nichts aus der Ruhe
- Rundum-Checks bevor die Bikes an den Start gingen
- Mäuschen spielen
- In den Katakomben fuhren sich die Bahnfahrer auf den zahlreichen Rollentrainern warm
- Das neue deutsche Trikot für Tokyo 2020
- Schnelle Energie für die Wettkämpfe
2) Was für die echten Fans!
Eine weitere Erkenntnis ist natürlich, dass der Bahnradsport schon eher was für die echten Fans ist. Für die, die sich seit Jahren damit beschäftigen und all die Regeln und Feinheiten kennen.
Zwar hat der Bahnradsport einen naturbedingten Vorteil gegenüber dem Straßenradsport (findet in einer kompakten Halle statt), aber die Disziplinen unterscheiden sich natürlich schon enorm voneinander, so dass man sich jedes Mal wieder neu drauf einstellen muss.
Für den einfachen „Eventfan“ vermutlich etwas überfrachtend.
Noch nichts für allgemeine Eventfans
Vielleicht möchte man den aber eh nicht hier haben?
Sehr interessant übrigens zu sehen, dass die Veranstalter sich offensichtlich der Komplexität ihres Sports bewusst sind. Bei einigen Disziplinen erklärten sie vorweg auf der großen Arena-Leinwand die Besonderheiten des anstehenden Wettbewerbs.
Ich weiß jetzt nicht, ob das schon seit längerem der Fall ist, sicherlich aber der richtige Schritt!
Leider nur halbvoll gefüllte Ränge
Etwas schade finde ich die Tatsache – ist jetzt aber auch keine wirkliche Überraschung –, dass am Tag der Eröffnung die Halle gefühlt halbvoll war.
Klar, es war an einem Mittwoch mitten in der Woche und der Bahnradsport ist nun mal ein Nischensport, aber wenn man das mit dem Fußball vergleicht (sollte man dringend nicht tun!), dann schmerzt es schon ein wenig.
3) Deutsche Frauen ragten heraus
Nicht nur in der medialen Berichterstattung hatten die deutschen Frauen um Emma Hinz, Pauline Grabosch oder Lea Sophie Friedrich aufgrund ihrer sportlichen Erfolge einen besonderen Stellenwert – auch für mich vor Ort waren die Frauen insgesamt ein echter Hingucker.
Faszinierend zu sehen, mit welcher Power und Geschwindigkeit sie es schafften, ihre Körper über die Bahn zu beschleunigen.
Kristina Vogel der (heimliche) Star!
Kristina Vogel war auch vor Ort und für mich sowas wie der (heimliche) Star.
Toll zu sehen, dass sie trotz dieses Schicksalsschlags in 2018 sich nicht hängen lässt und bei solchen Veranstaltungen fester Bestandteil ist. Das ist sicherlich nicht leicht für sie.
Hut ab.
4) Faires Publikum
Klar, eine Heim WM ist immer was ganz besonderes und natürlich bekommt das heimische Team dann auch die spezielle Unterstützung des Publikums.
Aber eine Sache, die ich insgesamt im Radsport extrem schön finde, das ist die faire Anerkennung von Leistung.
Egal, aus welchem Land der Fahrer herkommt oder welches Team-Trikot er trägt, das Publikum honoriert das Vollbrachte.
Ganz anders die Situation natürlich in einer anderen Sportart (deren Namen ich nicht mehr nennen mag), in welcher mittlerweile ein sehr rauhes Klima herrscht, das allzuoft weit unter die Gürtellinie geht.
Schön, dass man sich den guten, sportlichen Ton hier noch bewahrt hat.
Unbedingt so weitermachen!
5) Unglaublich krasse Leistungen
Abschließend möchte ich nochmal die einzelnen Leistungen der Teilnehmer honorieren.
Nochmal der Kontext:
Es ist ja jetzt nicht so, dass sie einen Wettbewerb fahren, sich dann ins Hotelzimmer legen und am nächsten Tag nochmal gut ausgeruht den nächsten Wettbewerb fahren.
Was ich so nicht auf der Uhr hatte, ist die doch sehr hohe Frequenz an laufenden Wettbewerben an einem Tag, an denen die Fahrer|innen ständig teilnehmen.
Aufwärmen, auf die Bahn und den Wettbewerb unter Vollbelastung fahren (im Bahnradsport musst du fast immer 100% geben!), wieder runter in die Box, durchschnaufen und später wieder aufwärmen für die nächste Disziplin.
Da ich am ersten Tag in Berlin zugegen war, konnte ich „nur“ diese drei Disziplinen bestaunen:
Team Sprint:
Gleich von der allerersten Sekunde ging es in den absolut dunklen Bereich.
Heftig zu sehen, mit welcher Anstrengung die Fahrer|innen überhaupt die Kurbel umgedreht bekommen.
Jeder sprintet mit 100% und muss sich drauf verlassen, dass sich der andere entsprechend positioniert, um dann die Vorarbeit in einen maximal schnellen Zielsprint verwandelt.
Hier ist blindes Vertrauen absolut vonnöten.
Mannschaftsverfolgung:
Eine der Königsdisziplinen im Bahnradsport, bei der die 4 Teilnehmer einer Mannschaft exakt 4 km absolvieren. Was mich hier neben der brutalen Geschwindigkeit erstaunte, war einfach die 1000%ige Präzision, mit der die Vier über das Oval donnerten.
20 cm zwischen Hinterrad und Vorderrad, in der Kurve fährt der|die Erste des Zugs nach oben weg und reiht sich, als wäre nichts gewesen, wieder hinten ein, um sich im Windschatten auszuruhen.
Das musst du dauernd üben und perfektionieren. Der kleinste Fehler kann für mächtig Ärger und Aua sorgen.
Scratch:
Eine der taktischen Disziplinen, bei der v.a. viel mit Auge gefahren wird. 40 Runden drehten die Frauen (Siegerin war die Niederländerin Kristin Wild) in Summe. In den letzten 2-3 Runden geht dann sichtbar die Action los.
Scratch ist eine der Disziplinen, die sehr nah am Straßenradsport ist.
Eine andere Sache, die man als Außenstehender (wie ich) gerne mal unterschätzt, ist das Thema der nicht vorhandenen frischen Luft.
Während die Straßenradsportler draußen an der frischen Luft unterwegs sind, sprechen wir hier von einem Hallensport ohne entsprechenden Wind, Sauerstoff in Überfluß etc.
Beim ein oder anderen Fahrer sah man entsprechend die Strapazen im kreidebleichen Gesicht und Körper an, als man ihnen teils helfen musste, zurück in den Innenraum von der Bahn zu kommen.
Fazit der Bahnrad WM in Berlin
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ich schon sehr beeindruckt bin von der Authenzität und dem familiären Charakter dieses Sports.
Das sollte man sich unbedingt bewahren.
Wünschenswert wäre es, wenn es dem Verband gelingen würde, die Komplexität des Bahnradsports etwas „zu vereinfachen“ und für das Publikum „verdaulicher“ zu machen.
In Kombination mit der doch sehr hohen Frequenz an ständig sich wechselnden Disziplinen (die viele nicht verstehen) ist der Zuschauer wohlmöglich etwas überfrachtet.
Es wäre den Fahrern von Herzen zu gönnen, wenn bei künftigen WMs deutlich mehr Zuschauer zu ihren Rennen kommen und ihre tollen Leistungen honorieren.
Herzlichst,
Daniel