Markus Hertlein ist das, was man umgangssprachlich gerne als Bergziege bezeichnet. Sehr, sehr leicht und mit viel Watt für seine schmale Statur ausgestattet – was in Kombination einen schicken Watt-pro-Kilo-Quotienten ergibt. Kein Wunder, dass sich der junge Sportwissenschaftler in den Bergen zu Hause fühlt. Mit 7:09 Stunden sollte er in 2017 knapp an den Top 10 beim Ötzi vorbeisausen. Interessant ist aber vor allem seine Entwicklung: Vor zwei Jahren waren es immerhin noch 8:30 Stunden, die er für die 230 km lange Schleife um Sölden brauchte – eine beachtliche Verbesserung. Wie hat er das geschafft? Mehr Schmackes kraft moderner Trainingsmethoden? Grund genug, den jungen Coach in den nächsten Monaten näher zu begleiten.
Von Markus Hertlein
Schon wieder ein Sportwissenschaftler auf SpeedVille?
Ja, denn genau diese Kombination aus Sport und Wissenschaft bzw. Theorie und Praxis ist es, die eine so große Faszination ausüben kann, um aus einem Hobby eine professionelle Leidenschaft zu machen.
Und mich hat’s voll erwischt!
Denn in welchem Studium hat man schon die Möglichkeit, das Gelernte direkt in die Praxis umzusetzen und an sich selbst auszuprobieren?
Wenn am Ende dann noch 7:09 Stunden und ein 12. Platz beim Ötztaler Radmarathon, dem wohl größten Alpenmarathon im deutschsprachigen Raum stehen, dann setzt das dem Ganzen natürlich die Krone auf und kann auf gewisse Weise all die graue Theorie aus dem Hörsaal bestätigen.
Gestatten? Markus Hertlein
Mein Name ist Markus Hertlein und ich studiere Sportwissenschaften in Salzburg. Ähnlich wie bei den meisten meiner Studienkollegen war meine Jugend geprägt davon, mich quer durch alle Sportarten zu probieren – um schlussendlich das zu finden, was mich seit meinem 17. Lebensjahr nicht mehr loslässt: der Ausdauersport.
Anfangs war es noch Triathlon, doch nach einigen Jahren wurde mir das „Kacheln zählen“ in der Schwimmhalle zu langweilig und ich widmete mich immer mehr dem Sport auf zwei Reifen – eine Disziplin, die mir beim Triathlon eh schon außerordentlich gefiel.
Und da ich schon immer fasziniert war von Parametern, die sportliche Leistungen greifbar machen, und anhand derer man Leistungen im Vergleich zu anderen einordnen kann, verlor ich mit der Einführung von bezahlbaren Powermetern endgültig mein Herz an den Radsport.
Der Erfolg des Athleten ist die Freud des Coaches
Mittlerweile darf ich mein Wissen aus Studium und Praxis auch an andere weitergeben und betreue Sportler, um Ihnen zu helfen, ihre persönlichen Ziele zu erreichen.
Die Erfahrung, dass sich Erfolge als Coach ähnlich gut anfühlen wie die eigenen, durfte ich bereits selbst machen. Wenn beispielsweise ein Teamkollege (Felix Hermanutz) nach zwei Wochen Matura–Feierei (das österreichische Abitur, d. Red.) auf dich zukommt, er möchte in einem Monat bei der Staatsmeisterschaft der Amateure im Zeitfahren vorne mitfahren, dann sollte man ihn eigentlich wieder mit dem Tipp ins Bett schicken, er solle erstmal ausnüchtern und dann nochmal darüber nachdenken.
Doch Felix meinte es ernst, war 100% motiviert und ich sah es ebenfalls als Herausforderung an. Eine sehr zielführende Konstellation. Wer daran interessiert ist, wie wir das ganze Projekt erfolgreich umgesetzt haben, der kann sich hier ein genaueres Bild machen.
Die Erfahrung, was mithilfe präziser, individueller Planung und akribischer Zusammenarbeit von Trainer und Athlet möglich ist, bietet mir einerseits die Möglichkeit, durch die Betreuung von Athleten eine weitere faszinierende Facette des Sportes kennenzulernen, andererseits motiviert es mich extrem, das eigene Wissen in der Trainingswissenschaft stets zu erweitern und aktuell zu halten.
Dieses Wissen, über die aktuellen Trainingskonzepte der Trainingswissenschaft, ist die Basis, um meinen Sportlern eine optimale auf sie abgestimmte Trainingsbetreuung zu bieten.
Und ein aktuell viel diskutiertes Modell ist das polarisierte Training.
Lerne von den Besten – und vermeide die Todeszone
Spicken?!
Hat in der Schule schon immer gut funktioniert, naja meistens, und auch die Wissenschaftler machen sich dies zunutze: Wie machen es die Besten? Wie trainieren Olympiasieger, Weltmeister, Tour de France Sieger?
So falsch können sie ja schließlich nicht liegen.
In einer retrospektiven Analyse (Link) von Weltklasse-Ausdauersportlern wurde festgestellt, dass Spitzensportler, quer durch alle Ausdauersportarten, größtenteils den Ansatz des polarisierten Trainingsmodells (POL) verfolgen.
80/20-Regel
Die Analyse von Weltklasseathleten ergab dabei eine grobe Intensitätsverteilung von:
- 75-80% niederintensiv
- 0-5% mittlere Intensitäten
- 15-20% hochintensiv
Der Trend zur Mitte
Im Hobby-Bereich ist dagegen der sogenannte „Trend zur Mitte“ weit verbreitet. Viele Amateurathleten bewegen sich größtenteils in einem Bereich, der zu intensiv für das Grundlagentraining ist und deshalb auch nicht die gewünschten Anpassungen erzielt – gleichzeitig sind sie durch die hohe Intensität aber so ermüdet, dass die Intervalle im hochintensiven Bereich nicht mehr qualitativ hochwertig durchgezogen werden können.
Ein Großteil der Hobbyathleten bewegt sich also ständig in einem Bereich, der weder das eine noch das andere System optimal stimuliert. Deshalb wird dieser Bereich oft auch als „Dead Zone“ oder „Todeszone“ (GA2, L3, Tempo, Zone 2 (3) usw.) bezeichnet.
Der Trend des HIT-Trainings
Eine weitere Thematik, die in letzter Zeit überall diskutiert wird, ist das HIT (High Intensity Training).Mittlerweile gibt es auch einige Untersuchungen, die bestätigen, dass durch HIT ähnliche Anpassungen, wie mit langem niederintensivem Ausdauertraining erzielt werden können, nur eben mit deutlich weniger Zeitaufwand2. Das Versprechen der Forscher, mit minimalstem Zeitaufwand einen maximalen Trainingseffekt zu erzielen, klingt für den Hobbysportler mit begrenztem Zeitbudget natürlich sehr interessant.
Selbstversuch: 6-wöchiges invers polarisiertes Training (iPOL)
HIT scheint also das Mittel der Wahl zu sein. Doch wie baut man das Ganze sinnvoll in sein Trainingsmodell ein?
Ein möglicher Ansatz ist das polarisierte Training mit der „80/20-Regel“ einfach umzudrehen, was bedeutet, dass 20% niederintensiv und 80% hochintensiv trainiert werden. Also wenig Umfang bei hoher Intensität.
Sollten mit diesem Modell ähnliche Anpassungen möglich sein, wie es in den HIT Studien propagiert wird, wäre dies ein weiterer Hinweis, dass nicht die Quantität, sondern vielmehr die Qualität des Trainings entscheidend für den Erfolg ist.
Dass dieser Ansatz Potential bietet, davon bin ich überzeugt. Wie sich die graue Theorie in die Praxis umsetzen lässt bzw. wie sie sich anfühlt, das werde ich und zwei meiner Athleten in den nächsten sechs Wochen ausprobieren.
Dabei stellen sich vor allem diese Fragen…
Was macht das iPOL mit der Form?
6 von 8 Wocheneinheiten im hochintensiven Bereich?!
Macht das noch Spaß?
Die Antwort auf diese und vielleicht noch die ein oder andere zusätzliche Erkenntnis wird es dann im neuen Jahr hier auf SpeedVille geben.
Vielleicht lautet der Neujahrsvorsatz dann ja auch nicht „Abnehmen!“, sondern: „6-Wochen invers polarisiert trainieren“!
Ich bin gespannt.
Begleitet mich in 2018
Neben ähnlichen Themen wie dem Polarized Training, werdet ihr hier auf SpeedVille auch die Möglichkeit haben, mich in der nächsten Saison zu begleiten. Neben einem Einblick in meine eigene Trainingsgestaltung werde ich auf aktuelle Trainingskonzepte eingehen, aber auch Rennberichte veröffentlichen.
Aufgrund einer wirklich guten Saison 2017 sind die Ziele für die kommende Saison nicht weniger niedrig angesetzt. Dennoch liegt es wohl in der Natur der Sache, den Anspruch zu haben, sich jede Saison zu verbessern. An Aspekten, in denen ich selbst noch Verbesserungspotential sehe, mangelt es zumindest nicht.
Mit dem Ötztaler und dem Glocknerkönig stehen zwei Highlights aus dem letzten Jahr wieder ganz oben auf meiner Liste. Aber ich werde mich auch an neuen Herausforderungen ausprobieren:
Hauptsache die Kombination aus Kilometer und Höhenmeter stimmt ;-)
Lasst euch überraschen!
(c) Fotos/Grafiken: Markus Hertlein
2Kilpatrick, M. W., Jung, M. E., & Little, J. P. (2014). High-intensity interval training: a review of physiological and psychological responses. ACSM’s Health & Fitness Journal, 18(5), 11-16.
Weiterführende Links:
– Zahlen, Daten & Fakten des Ötztaler Radmarathons (Link)
– Profis vs. Jedermänner im Vergleich beim Ötztaler (Link)
– Carboloading-Tipps für den Ötzi von Dr. Feil (Link)
1 comment
[…] Und zum Abschluss meiner Artikel-Reihe zum Polarisierten Training (POL) noch etwas ganz Abgefahrenes, worüber ich bei meiner Recherche gestolpert bin: Invers Polarisiertes Training (iPOL)! Vorsicht: Das ist jetzt echt nur was für die Nerds unter uns. Da haben sich ein paar Jungs (ziemlich starke Radfahrer – z.B. 12. Platz overall Ötztaler) überlegt, wie man dieses Konzept noch auf die Spitze treiben könnte und haben das Prinzip INVERS angewendet, also 80% HIIT und nur 20% locker. Uiuiui! Das ist sicher nur etwas für (1) junge Athleten, (2) sehr erfahrene Athleten, die genau wissen, was sie tun und (3) jene, die genau messen, was sie tun. Aber die Ergebnisse sprechen für sich (+60 Watt innerhalb von nur 6 Wochen!!) und sind gerade für Sondersituationen, in denen man (aufbauend auf einer sehr guten Ausdauer-Grundlage) schnell mal extrem stark seine Leistung nach oben pushen will für einen besonderen Wettkampf (nach z.B. Krankheit/Verletzung). Den entsprechenden Artikel mit den fantastischen Ergebnissen findest Du hier! […]
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