Einmal im Leben sollte man als Jedermann mindestens den Ötztaler Radmarathon fahren. Und da es bei solchen Ereignissen oftmals deutlich schwungvoller zugeht, wenn man sich ambitionierte Ziele setzt, hängt die Latte für den Ötzi 2017 bei niedrigen „Unter 9 Stunden“ für mich. Kurze Anmerkung: Ich wiege in etwa 80 kg. Kompletter Schwachsinn und nicht zu schaffen? Mit diesen Maßnahmen könnte es klappen…
„Eigentlich“ ist auch eins dieser Worte – nach dem Endura-Alpentraum wollte ich mir so etwas ja EIGENTLICH nicht mehr antun.
„Viel zu hart!“ – „Was für eine Quälerei!“ – „Knapp 6.100 Höhenmeter an einem Tag!“ – „Absolut irre!!!“ – „Nie wieder!!“
Ein kleiner Auszug meines Geheules nach meinem wahrscheinlich härtesten Radmarathon Ende 2014.
Nee, is klar!
Aber ihr kennt das: Was interessiert uns das Geschwätz von gestern?! Knapp drei Jahre später bin ich wieder mittendrin, mich für mein nächstes großes Radsportabenteuer vorzubereiten: Ende August werde ich erstmalig bei der Königin (oder ist es der König?) aller Radmarathons an den Start gehen: dem berüchtigten Ötztaler Radmarathon!
5.500 Höhenmeter bei einer Distanz von knapp 240 Kilometern. Vielleicht einen Tacken weniger krass als der Endura Alpentraum, dafür deutlich mehr Prestige und Flair!
Ich freue mich jedenfalls wie Sau!
Faszination Ötztaler Radmarathon
Zahlreiche Artikel habe ich in den letzten Jahren bereits über dieses Mammut-Event verfasst: einen kritischen, zahlreiche gespickt voller Faszination (Link 1 | Link 2 | Link 3 | Link 4 | Link 5) und dieser heute soll mir – und vielleicht ja auch Euch – eine Anleitung für dieses Mega-Event sein, quasi ein erster Motivationsschub für eine geile Saison 2017:
Was muss man tun/investieren, um den Ötzi in seiner gewünschten Zeit zu finishen?
Mit Coach Philipp Diegner möchte ich dieses Ding, dieses Wahnsinnsereignis, mal versuchen etwas aufzubrechen, eine Art Fahrplan erstellen, was wir alles tun müssen, um am 27.8. nicht komplett baden zu gehen.
In den nächsten Wochen/Monaten werden wir daher noch zahlreiche Artikel über dieses Wagnis veröffentlichen, in denen wir auf die eine oder andere Besonderheit eingehen werden – wie z.B. Ernährungsstrategie, konkrete Trainings-Sessions oder unsere exakte Pacingstrategie – in diesem Artikel stellen wir unseren Masterplan, wie man heute so schön sagt, „High Level“ oder als „Big Picture“, vor.
Also, wie schaffen wir es, dass „großes, dickes Müller“ den Ötzi unter 9 Stunden finisht?
Trainingssteuerung für den Ötztaler
Bis zum Ötztaler Ende August sind es noch gut sechs Monate Zeit. Diese sechs Monate unterteilen wir in drei Drittel.
Erstes Drittel (März & April 2017)
Fokus auf den Aufbau der Leistungsfähigkeit: Schwelle, langsam steigende Intensitäten und Zwift Rennen
In den letzten Wochen haben wir die über den Winter verlorene Fitness wieder aufgebaut. Vom Ausgangswert von unter 260 Watt nach der Winterpause, hat Daniel sich jetzt schon wieder in den Bereich von 305-310 Watt an der IAS gesteigert.
Hauptsächlich findet das Training derzeit Indoor (Wahoo Kickr & Zwift) statt. Eine Kombination aus längeren Intervallen unterhalb der IANS, nüchternen Ausdauereinheiten hatte sich schon in 2016 als sehr effektiv erwiesen, um bei ihm die Leistung langfristig zu verbessern. Dazu gesellen sich derzeit noch besonders intensive Zwift Rennen, welche wir ca. 1x pro Woche einstreuen.
Da wir in diesem Jahr fast fünf Monate früher mit dem strukturierten Aufbau beginnen, bleibt deutlich mehr Zeit für alle Phasen der Saisonvorbereitung.
Beispielhaft für unser Training sind diese zwei jüngeren Einheiten:
Einheit 1: 3x15min bei 88% (Strava Link)
>> Sweetspot-Training mit langen Intervallen erweist sich als sehr effektiv. Hier mit 270W bei 145-160bpm.
Einheit 2: P Race vom 11.2. (Strava Link)
>> 75min bei 290W im Schnitt und 20min mit 312W – ein sehr intensives Rennen!
Zuletzt mussten wir das Training für allgemeine Fitness und die spezifische Rennvorbereitung aus Zeitgründen kombinieren. Jetzt ist es möglich, noch gezielter an Daniels Leistungsfähigkeit zu arbeiten und so die Progression nachhaltiger und ausgeprägter zu gestalten.
Insgesamt können wir bis Ende August sechs „4-Wochen Trainingsblöcke“ durchlaufen, um mindestens die jetzt noch fehlenden 35W zu erschließen. Der Großteil der absoluten Leistungsfähigkeit an der Schwelle sollte dabei schon nach ungefähr 12 Wochen erreicht sein, danach wird die Vorbereitung stärker auf die speziellen Anforderungen des Ötztalers ausgerichtet.
Da er eventuell noch einige Zeit im Süden Europas zum Radfahren verbringen wird, erwarten ihn Trainingslager mit gesteigertem Volumen – und damit im Idealfall eine deutlich stärkere Grundlage für den Rest der Saison. Davon wird er bei seinen beiden Saisonhöhepunkten, dem Ötztaler Radmarathon und dem King of the Lake Zeitfahren, erneut profitieren.
Im März und April werden Intensität und Umfänge leicht erhöht – mit Schwellen- und VO2max-Intervallen sowie regelmäßigen langen Ausdauerfahrten auf der Straße. Durch die spürbar gesteigerte Trainingsbelastung sollen weitere Verbesserungen stimuliert werden. Im Fokus steht langfristig die Maximierung der Schwellenleistung über das Vorjahresniveau hinaus, welche in 2016 bei 330 Watt lag bei 82 kg Gewicht.
Mit Zwift und Smart-Trainer kann Daniel die gezielten Intervalle besonders gut trainieren und so das Optimum aus den harten Trainingseinheiten rausholen. Die Wettkämpfe der online Trainingsplatform Zwift bieten zusätzlich Belastungen von 95-100%, üblicherweise für ungefähr eine Stunde. So wird Daniel schon im Frühjahr regelmäßig an seine Leistungsgrenze gebracht – und auch darüber hinaus!
Steht er Ende April bei 325-330W, sind wir mind. im Plan für die Zielleistung Ende August:
340W bei 79kg!
Zweites Drittel (Mai & Juni 2017)…
Erste Wettkämpfe auf der Straße, Peak für Tour de Kärnten Ende Mai, danach Ruhewoche und RUK, gefolgt von 2 Wochen Training und Schleiz
Am 1. Mai warten dann mit der ŠKODA Velotour in Frankfurt der erste Wettkampf. Hier wird Daniel vermutlich schon in guter Form am Start stehen.
Für das erste Highlight – Tour de Kärnten (20.-26. Mai), folgt danach ein weiterer intensivierter Trainingsblock und der erste „Peak“ (Formhöhepunkt) für das österreichische Etappenrennen – ein Highlight für Amateurfahrer.
Nach einer Ruhewoche kann sich Daniel dann wiederum über Monate hinweg dem strukturierten Training widmen und seine Komplexleistung auf dem Rad weiter steigern.
Im Juni stehen mit Rund um Köln und dem Schleizer Dreieck Jedermann noch zwei Rennen des GCC an, die aber keine spezifische Vorbereitung abverlangen. Sie können vor allem als Motivationsschub und Formtest dienen. Leistungstechnisch können die 340W hier je nach Saisonverlauf und Gesundheit sogar schon erreicht sein! Ab jetzt liegt der Fokus darauf, 75-85% dieses Werts möglichst lange aufrechtzuerhalten.
Drittes Drittel (Juli & August)…
Back to the Grind: 2 fokussierte Trainingsblöcke für den Ötzi, in den zweiten 4 Wochen inkl. Teilweisen Rennsimulationen -> SPEZIFISCH
Im Juli und August heißt es „Back to the Basics“. Bis zum „großen Ötzi“ am 27. August haben wir noch zwei 4 Wochen-Zyklen, in denen wir Daniels Kletter- und Ausdauerfähigkeiten verfeinern können. Das anaerobe Vermögen rückt etwas in den Hintergrund, da sich Daniel im Ötztal fast ausschließlich im aeroben Bereich bewegen wird.
Das Ziel ist vor allem seine Ermüdungsresistenz zu optimieren, damit er auch nach über 5 Stunden im Sattel, am berüchtigten Timmelsjoch noch eine beachtliche Leistung erbringen kann, um das große Ziel zu erreichen: den Ötztaler Radmarathon in unter 9 Stunden zu beenden.
Nach dem Ötzi erwarten Daniel noch der GFNY Deutschland (eins der Highlights in 2016) und der KOTL. Er wird vermutlich in absoluter Topform aus dem Ötzi kommen. Das Training wird sich im Anschluss vor allem auf den Formerhalt konzentrieren – hochintensive Intervalle kommen nun in den Plan. Auch hier sind neue persönliche Bestleistungen sehr realistisch.
Was braucht es eigentlich für unter 9 Stunden?
Die drei Haupt-Anstiege: Kühtai, Jaufenpass und Timmelsjoch. An diesen Anstiegen wird das Rennen gewonnen – oder auch verloren. Niemand fährt sie im Rennen an oder gar oberhalb der Schwelle.
Es gilt:
Je größer die IANS im Verhältnis zum Gewicht und die Fähigkeit eine hohen Anteil dieser Leistung über lange Zeit zu erbringen, desto besser ist das zu erwartende Ergebnis!
Mit seinem körperlichen Ziel von 79 kg / 340w IANS würde Daniel bei 4,3W/kg liegen. Eine Zeit von unter 9 Stunden ist damit realistisch. Um sicherzugehen, müsste er hierfür über das Rennen hinweg ca. 2,8-3W/kg Durchschnittsleistung erbringen (220-235W) und an den Anstiegen 10-15% mehr. Eine Platzierung zwischen 500 und 700 ist möglich.
Zum Vergleich: Die Topfahrer brauchen für den Ötzi knapp 7 Stunden und leisten um die 4W/kg im Mittel und sogar noch 4,1 -4,6W/kg am Timmelsjoch.
Pacing beim Ötzi
Für das Pacing wird es entscheidend sein, am Kühtai nicht zu rasant zu beginnen und in den Abfahrten/Ebenen möglichst eine homogene Gruppe zu erwischen. Sonst kann hier das Rennen schnell verloren werden.
Vor dem Rennen werden wir im Training einige Male bestimmte Rennsituationen simulieren, um die Pacingstrategie zu optimieren, idealerweise sogar auf der offiziellen Strecke. Weitere relevante Faktoren sind Daniels Fertigkeiten in Abfahrten und die Ausarbeitung eines Ernährungsplans für den Renntag.
Bis zum Start in Sölden sind es noch über 6 Monate, einer Topleistung steht also nichts im Wege!
Kurzinterview mit Philipp Diegner
Puh, den Ötzi unter 9 Stunden, da habe ich mir ja was eingebrockt. Wie realistisch ist es aus deiner Sicht?
Schaut man auf deine Leistungen im Spätsommer 2016 und den Fortschritt, den du innerhalb von wenigen erzielen konntest ist das ein realistisches Ziel. Mit mehr als doppelt so viel Trainingszeit werden noch 10W mehr an der Schwelle möglich. Natürlich gehört zu einer solchen Leistung beim Ötztaler mehr als nur eine hohe IANS – auch die Ermüdungsresistenz steht im Vordergrund. Aber hier gilt: Regelmäßiges Training über längere Zeiträume bringt uns ans Ziel.
Regelmäßiges Training über längere Zeiträume bringt uns ans Ziel.
Wie werden wir das Trainingsvolumen in den drei Saison-Dritteln hochfahren?
Das Trainingsvolumen wird je nach deiner Verfügbarkeit für das Training immer wieder schwanken. Hoffentlich kannst du noch 1-2 Aufenthalte im Süden einbauen, wo wir die KM Zahl dann für einige Tage sehr deutlich hochschrauben.
Ansonsten konzentrieren wir uns vor allem auf die Periodisierung der Intensität des Trainings – jeder Block hat einen genau festgelegten Schwerpunkt. Dazu sollten dann pro Zyklus mind. 2 lange Ausfahrten jenseits der 4 Stunden kommen. Für Hobbyfahrer ist das eine machbare Herangehensweise, die den Aufbau einer starken Grundlage ermöglicht.
Kann man so ein Abenteuer bzw. solche ambitionierten Ziele mit unter 10 Trainingsstunden pro Woche überhaupt schaffen?
Bleibt man über Monate stets dabei und vermeidet längere Unterbrechungen des Trainings, zum Beispiel mehr als 7 Tage, ist dies durchaus drin. Ganz kann man aber wie gesagt auf lange Trainings nicht verzichten. Das ist nicht nur physiologisch wichtig, um den Körper auch an Belastungen jenseits der 5 Stunden Marke zu gewöhnen. Auch der mentale Aspekt muss bedacht werden. Wenn man zuvor nur sehr selten wirklich lang auf dem Rad saß, erscheint ein Wettkampf wie der Ötzi als unerreichbare Aufgabe. Das ändert sich wenn man sich schon im Vorwege daran gewöhnt – alles eine Frage der Perspektive.
Was wird für dich als Coach so der Benchmark in der Saison sein? Was muss ich zu welchem Zeitpunkt auf die Kette bringen, damit du sagst: Ok, der Junge packt das!
Ich erwarte, dass du Ende April – Anfang Mai wieder bei den 330W aus 2016 angelangt bist. Danach ist dann immer noch ein Vierteljahr Zeit, um an den letzten paar Prozent Leistungsfähigkeit zu arbeiten. Danach wird dann die Tour de Kärnten Ende Mai ein kleiner Test, um zu sehen, wie sich deine Ausdauer entwickelt. Im Idealfall bringst du bereit dort auch nach 5 Tagen harter Belastung noch eine starke Leistung. Je nach Ausmaß des Leistungsabbaus während des Etappenrennens lässt sich dann sagen, wie viel Arbeit noch vor uns liegt oder ob wir das Leistungsziel sogar nach oben korrigieren können.
Ich erwarte, dass du Ende April – Anfang Mai wieder bei den 330W aus 2016 angelangt bist. Danach ist dann immer noch ein Vierteljahr Zeit, um an den letzten paar Prozent Leistungsfähigkeit zu arbeiten.
Der ein oder andere Leser mag sich ggf. auch von dir für den Ötzi fit machen lassen. Kannst du den Lesern hierzu etwas anbieten?
Für Sportler, die sich zum ersten Mal wirklich strukturiert auf einen solchen Radmarathon vorbereiten wollen, biete ich einmalige Beratungsgespräche an. Dabei besprechen wir den aktuellen Leistungsstand und leiten daraus ein Leistungsziel und Trainingsempfehlungen ab. Darüber hinaus habe ich noch einige Plätze für festes Coaching in den nächsten Monaten frei. In einem halben Jahr kann man viel erreichen!