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Führt ein schmerzender Sattel zur Impotenz?
Urologe Dr. Stefan Staudte gibt Antworten!

by Daniel

Rennradfahren und Impotenz – fragst du zu diesem Thema zehn Leute, bekommst du zwanzig Meinungen: Kann man durchs Radfahren tatsächlich impotent werden? Da sagt jeder was anderes. Einer, der uns stichhaltige Antworten geben kann, ist der Münchner Urologe und Bike-Experte Dr. Stefan Staudte. Mit ihm sprach ich über die Risiken eines schlecht passenden Sattels – vor allem fürs Liebesleben.

Sattel Impotenz

Wenn es hinten brennt, du unten deine Füße, Zehen oder gar das Gemächt nicht mehr spürst, dann solltest du dich mal schleunigst mit deinem Sattel auseinandersetzen bzw. deine Sitzposition von einem Bikefitter checken lassen. Ein schlecht passender Sattel kann jede Ausfahrt und Liebesleben zur Hölle machen.

Einer, der in seinem Leben schon einige Sättel gesehen, gefahren und getestet hat, mittlerweile aber in seiner Münchner Praxis zahlreiche Radfahrer-Patienten behandelt, die unter Erektionsstörungen leiden, ist Dr. Stefan Staudte – selbst passionierter Radsportler. Stefan dürfte den meisten von Euch als Kolumnist in der Tour oder bike-Magazin bekannt sein. Neben seiner Urologiepraxis unterstützt er den Sattelhersteller SQlab in beratender Funktion beim Thema Produktentwicklung.

Mit Stefan sprach ich über das gesundheitliche Risiko eines schlecht sitzenden Sattels – denn bei aller Liebe zum Radsport: So lange fahren, bis die Nudel nur noch hängt, muss nun wirklich nicht sein…

Impotenz durch den falschen Sattel? Dr. Stefan Staudte im Interview

(c) Foto: Dr. Stefan Staudte
(c) Foto: Dr. Stefan Staudte

Stefan, du bist Urologe in München und hast zahlreiche Patienten aus dem Radsportbereich. Was sind die typischen Wehwehchen der Radfahrer mit denen du in „Berührung“ kommst?
Taubheitsgefühle, Druck- und Organgefühle bis hin zu Schmerzen sowie Wundscheuern und Entzündungen im Damm- und Genitalbereich. Das betrifft sowohl Männer als auch Frauen. Nicht zu vergessen, die viel zitierte Erektionsstörung bei Männern.

Dabei sehe ich richtig auffällige Befunde:

  • über Tage/Wochen andauernde Taubheitsgefühle des Penis
  • über Tage/Wochen andauernde Erektionsstörungen
  • großflächige, schmerzhafte Schwellungen der Haut und Unterhaut
  • Entzündungen der Haut bis hin zu operationspflichtigen Abszessen
  • andauernde Schmerzen beim Sitzen, z.T. auch in der Harnröhre
  • schmerzhafter Orgasmus bei Männern

Wie ist das prozentuale Verhältnis bei den Patienten: Männer vs. Frauen?
Von 10 Radfahrern in meiner Sprechstunde sind 2 weiblich und 8 männlich. Ich denke aber, dass das nicht der Realität entspricht. Ich nehme an, es gibt deutlich mehr Frauen, die Beschwerden haben, das aber nicht so thematisieren, oder als Konsequenz einfach weniger Rad fahren. Frauen sind da wohl vernünftiger.

Von 10 Radfahrern in meiner Sprechstunde sind 2 weiblich und 8 männlich

Dass es am Hintern mal etwas schmerzen kann, ist beim Radfahren nicht unüblich. Wann ist aber der Punkt erreicht, an dem du aus medizinischer Sicht sagst: „Stopp, bis hierhin und nicht weiter!“
Dass ist eine konfrontative und ich finde immens wichtige Frage. Ich habe vor kurzem einen medizinischen Artikel dazu veröffentlicht: Jegliches Symptom ist ein Warnsignal, geradezu ein Hilferuf des Körpers! Er lässt Dich direkt spüren, wenn etwas nicht gut für ihn ist. Es ist demnach weder vernünftig noch sinnvoll, das als selbstverständliche Begleiterscheinung des Radsports hinzunehmen: Ein tauber Penis gehört nicht zur Normalität beim Radfahren. Er ist ein Zeichen schlechten Radfahrens!

Ein tauber Penis gehört nicht zur Normalität beim Radfahren

Was wären ansonsten die Konsequenzen?
Wer die Ansage seines Körpers ignoriert, riskiert de facto eine Gesundheitsgefährdung. Ungünstiger Weise kann die Schädigung erst nach Jahren des Radfahrens auftreten. Das ist umso schlimmer, weil das Leiden dann häufig chronisch wird und eine Vermeidung nicht mehr möglich ist. Kein normaler Mensch möchte chronische Schmerzen oder Taubheitsgefühle, Erektionsstörungen, Orgasmusstörungen oder Beschwerden beim Wasserlassen mit zum Teil frustranen Operationen deswegen haben.

Sattel Impotenz
(c) Foto: Dr. Stefan Staudte

Bei diesem Punkt herrscht Unklarheit: Kann ein schlecht passender Sattel, der für Schmerzen und Taubheitsgefühle sorgt, zur Impotenz bzw. Verlust der Libido führen?
Impotenz? Eindeutig Ja! Ich verstehe nicht, dass es darüber Unklarheiten gibt. Schließlich gibt es dazu eine Vielzahl an medizinischen Studien/Publikationen (u. a. Sommer F. 2001, Leibovich I. 2005, Goldstein I. 2008). Wahrscheinlich liegt die Unklarheit in der falschen absoluten Annahme bzw. der Ablehnung dessen: ein solcher Sattel kann natürlich zur Erektionsstörung führen, muss es zwangsläufig aber nicht.

Impotenz? Eindeutig ja! Ich verstehe nicht, dass es darüber Unklarheiten gibt

Libido? Die Libido ist die Lust auf die Lust. Die Libido ist davon nicht unmittelbar betroffen. Sollte sie dennoch vermindert sein, ist das eher eine indirekte Folge – vermittelt über Müdigkeit, Übertraining oder eben Funktionsstörungen wie Taubheitsgefühle und Erektionsprobleme bzw. Schmerzen.

Was ich öfter beobachte ist, dass viele Radfahrer beim Rahmen und Komponenten viel Geld ausgeben, beim Sattel wird aber aus unerklärlichen Gründen gespart, nach dem Motto: „Passt schon!“ Kannst du diese Beobachtung teilen?
Ja, leider. Ich erlebe immer wieder, dass es für einen Radfahrer wichtiger ist, wie das Rad für ihn aussieht, als dass es sich passend bzw. ergonomisch fährt. Ein gutes Beispiel ist die so häufig thematisierte „Sattelüberhöhung“. Analog dazu ist das Aussehen und Gewicht des Sattels für eitle Radfahrer wichtiger als der Sitzkomfort bzw. die präventive Schonung des Dammbereichs.

Hast du eigentlich mehr Mountainbike- oder Rennradpatienten?
Als ich 2001 anfing, mich den Rad fahrenden Patienten zu widmen, waren es wegen meines Artikels 5/2002 und den Kolumnen als Experte in der Zeitschrift Bike mehr Mountainbiker. Seit Jahren schreibe ich auch für die Tour und Trekkingbike, hin und wieder auch für die triathlon. Dadurch sind es deutlich mehr Rennradfahrer geworden. In meiner urologischen Radfahrer-Sprechstunde sind jetzt ca. 50% engagierte Rennradfahrer und ca. 25 % engagierte Mountainbiker. Der Rest besteht aus Triathlon-, Trekking- und Touren-Radfahrern.

Welche dieser Radfahrertypen haben mehr Probleme untenrum?
In der Regel sind es die Rennradfahrer. Das liegt an der im Vergleich zum MTB sportlicheren, sprich, mehr gestreckten und mehr gebeugten Sitzposition.

Ich nehme an, dass das Segment der E-Bikes ein deutliches Plus an Bedürftigen erzeugen wird, weil zunehmend ältere und unfitte Radfahrer wieder aufsteigen und mit weniger Entlastung durch den Tritt auf dem Sattel sitzen…

Sattel Impotenz
(c) Foto: Dr. Stefan Staudte – links zu viel Belastung im Dammbereich

In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Sattelsysteme auf den Markt gekommen. Welche dieser Systeme sind aus deiner Sicht kompletter Humbug?
Ich finde absolute Aussagen meist zu undifferenziert. Ein Sattel sollte individueller sein. Wie die Anatomie und Physiologie. Mit Physiologie meine ich hier die Beweglichkeit, Bewegungsdynamik, Kraftentfaltung, Propriozeption und das Wahrnehmen bzw. Empfinden von Vorgängen des eigenen Körpers (wie Schmerz, Druck, Taubheitsgefühl usw.). So fühlt sich für den einen ein konvex geformter, schmaler und harter Sattel ohne Polster oder mit einem Loch gut an, weil er bei seinen Ausfahrten konstant 250 Watt Tretleistung mit 65 Kg Körpergewicht schafft. Das hebt ihn so aus dem Sattel, dass er wahrscheinlich keine Symptome durch den Sattel entwickelt. Für viele andere jedoch wird dieser Sattel zum Problem.

Sattel Impotenz
(c) Foto: Dr. Stefan Staudte. Führt in seiner Praxis auch Bikefittings durch

Aus medizinisch-urologischer Sicht kann ich jedoch eine generelle Aussage machen: Ungeachtet der Form oder Beschaffenheit des Sattels sollte er keinen wesentlichen Druck auf die Weichteile des Dammbereichs ausüben. Demzufolge möchte ich keine Sattelkonzepte verurteilen, die das nicht leisten, denn das sind viele – sondern das Sattelkonzept herausstellen, welches es leistet. Der für mich optimale Sattel passt in seiner Breite zum Abstand der Sitzbeinhöcker des Fahrers, so dass diese stabil darauf zum Liegen kommen. Die Auflagefläche der Sitzbeinhöcker sollte spürbar höher liegen, als der Dammbereich, damit dieser maximal entlastet wird. Das wird durch einen gleitenden Niveau-Unterschied, oder auch Stufe nach vorne und mittig erreicht. Daneben sollte er im Sitzbereich eher plan als konvex sein, da konvex geformte Sattel mit deutlich abfallenden Seiten trotz passender Breite häufig zu einer Kompression der Strukturen im Damm und zu einem schmerzhaften Auseinanderspreizen der Sitz- und Schambeine führen. Wenn der Sattel daneben noch eine ergonomische Flexibilität bzw. Materialdynamik aufweist, ist für das Ziel – maximale Entlastung verletzbarer Strukturen im Damm- und Genitalbereich bei optimierter Ergonomie – viel erreicht.

Ungeachtet der Form oder Beschaffenheit des Sattels sollte er keinen wesentlichen Druck auf die Weichteile des Dammbereichs ausüben

Du arbeitest seit Jahren eng mit SQlab in der Produkteentwicklung zusammen. Welche sind deine persönlichen Lieblingssättel?
Meine Lieblingssattel sind – wie sich jeder denken kann – diejenigen, die das erläuterte Konzept am besten erfüllen. Beim Rennrad ist es der SQLab 612 active ergowave und bei MTB Enduro/Freeride ist es der SQLab 611 ltd. carbon. Auf den neuen 611er Ergowave warte ich schon sehnsüchtig.

Sattel-Impotenz
(c) Foto: Dr. Stefan Staudte – passionierter MTB-Fahrer
Zur Person: Dr. Stefan Staudte

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