Frauen sind im Radsport eindeutig in der Minderheit. Auf 10-20% würde ich sie beziffern. Woran liegt das eigentlich? Ist der Radsport anatomisch so unattraktiv? Gibt es für Frauen zu wenige Angebote? Lisa Brunnbauer aus München schildert uns ihre ganz persönlichen Eindrücke, wie sie den Radsport als Frau erlebt: vom Einstieg bis zum Fitnessvergleich mit Männern.
Mit Lisa schreibe ich schon seit mehreren Jahren.
Regelmäßig gibt sie mir Feedback zu den unterschiedlichsten Artikeln, hin und wieder frage ich auch sie um ihre Meinung zu Themen auf SpeedVille.de. Wenn ich authentische und gehaltvolle Rückmeldungen brauche, ist sie eine der ersten, die ich frage.
Lisa ist eine, bei der man spürt, dass sie Feuer und Flamme für den Radsport ist.
Schließlich hat sie mittlerweile auch schon ein paar Trainingsjahre in den Beinen. Und dabei fing unsere „Blogger-Leser-Beziehung“ etwas „holperig“ an. Es ist bestimmt schon zwei oder drei Jahre her:
Damals fragte sie mich, ob sie mal bei uns „in den Bergen“ mitfahren durfte.
Ich denke, meine Antwort war recht typisch für das Thema Radsport und Frauen:
Sinngemäß müsste ich in etwa so geantwortet haben…
Du, das freut mich ja sehr, dass du bei uns mitfahren willst, aber als Frau ist unser Tempo wahrscheinlich zu schnell für dich! Sooooory…
Wollen wir nicht lieber mal hier im Flachen fahren?
Lisa hat meine Antwort wahrscheinlich noch genauer irgendwo im Hinterkopf abgespeichert. Wahrscheinlich Motivation pur für sie, noch härter zu trainieren.
Wie die Zeiten dich ändern…
Heute würde Lisa mir wahrscheinlich einen Korb geben, wenn es um eine ambitionierte Trainingsfahrt geht, Lisa hat den Ötzi, wenn mich nicht alles täuscht, bereits besser gefinished als ich Bratwurst! Heute bin ich auch nicht mehr so verbissen, heute geht es mir um den Spaß!
Vor ein paar Wochen fragte Lisa, ob sie mal ein paar Kommentare auf SpeedVille loswerden dürfe, es gibt da ein paar Themen, die sie euch gerne erzählen möchte.
Vielleicht kommen da noch ein paar Kommentare von ihr in den nächsten Monaten, fangen wir heute mal mit diesen zwei Themen an:
- 1) Wie kommt Frau zum Radsport?
- 2) Kann Mann mit weniger Training die gleiche Leistung erzielen?
Auf geht’s Lisa!
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Von Lisa Brunnbauer
Wie bin ich als Frau zum Radsport gekommen?
Ich denke, dass mein Fall ein klassischer für Frauen ist. Ich mache gerne Sport und bin gerne draußen, also liegt das Fahrradfahren nahe.
Dann war 2011 die Überlegung, welches Fahrrad ich kaufe.
Ein MTB war mir für das Fahren auf der Straße schon immer zu schwerfällig (by the way…ich behaupte dass das auch der Grund ist, weshalb MTBler nicht nachvollziehen können, dass Rennradfahrer gerne auf der Straße fahren… zumindest solange, bis sie mal selbst auf einem RR saßen)..
Ich hab damals ein Rennrad im TREK-Store in München getestet und ich fand es super, aber mit einem Rennrad kann man keine Feldwege fahren und ich wollte die Möglichkeit haben, von Freising aus an der Isar nach München reinzufahren.
Noch sehr kleines Crosser-Segment
Also war für mich klar: ich brauch einen Cyclocrosser. Die CX waren damals noch total rar und kaum ein Hersteller hatte überhaupt welche im Sortiment und dann noch in kleiner Rahmengröße für mich: fast unmöglich.
Witzigerweise meinte der TREK-Store-Geschäftsführer damals, ich solle mir lieber ein Rennrad kaufen, weil ich mir sonst nach dem Crosser noch ein Rennrad und ein MTB kaufen werde… und er hat recht behalten.
Jedenfalls war das CX-Segment auf dem Markt klein und ich hab mir dann einen Merida CX geholt, welches sogar für damalige Verhältnisse total modern war, weil er als einziger Scheibenbremsen hatte (damals hatten die restlichen Crosser noch Felgenbremsen) und er hatte einen dickeren Crosslenker mit zusätzlichen Bremshebeln oben-mittig.
Für den Anfang hab ich mir Pedale geholt, die auf einer Seite mit normalen Turnschuhen fahrbar waren und auf der anderen Seite ein SPD-System besitzen.
Ich hatte anfangs höllische Angst, das mit dem Ein- und Ausklicken nicht auf die Reihe zu bekommen. Diese Angst war aber übertrieben. Anfangs bin ich SEHR vorausschauend gefahren.
Erste Hürden: Ausklicken!
Wenn ein Hindernis wie Ampel etc. in Sichtweite war, habe ich dann ausgeklickt, um nicht später umzufallen. Aber wie jeder Rennradler, bin auch ich schon umgefallen.
Und zwar dann, wenn man kurzfristig ans Stehenbleiben denkt.
Ich war auf einem Feldweg unterwegs und der wurde richtig ekelig. Da hab ich mir gesagt: nein, das tust Du Dir nicht an, da fährst anders.
Also Vollbremsung und beim Stillstand hab ich dann gemerkt, dass ich noch nicht ausgeklickt war, da bin ich dann schööön laaaangsam in Zeitlupe umgefallen. Aber hey, was soll ich sagen: bis auf ein bisschen Schürfwunde war nix gewesen und gesehen hat mich auch niemand!
Also Mädels: nur Mut!
Mit Klickies fährt es sich besser und sieht auch Hammer aus..
Erste Ausfahrten mit Rennradgruppen
Ein Jahr später wollte ich dann bei Rennradgruppenausfahrten mit. Natürlich geht das mit Crosser, aber ich habe schnell gemerkt, dass es für mich mit Crosser viel anstrengender ist (und wohl auch als Frau) die Pace zu halten.
Daher hab ich mir anschließend noch ein Rennrad gekauft.
Meinen ersten Pass bin ich erst in 2016 gefahren, auf die Vorbereitung zum Ötztaler. Bis dato noch nie – und vor allem auch keine schnellen Abfahrten!
Mein Glück war, dass mein Freund ein sehr guter Fahrer ist, der sein Können auch vom Motorsport hat und mir sehr gut erklärt hat, WIE man abfährt.
Theorie und Praxis sind aber zwei paar Stiefel. Ich kann nur jeder Anfängerin raten, sich mit der Theorie auseinander zu setzen und das dann langsam einzuüben.
Angst bei den Abfahrten
Ich hatte vor allem bei kleinen Sträßelchen Angst und einmal war ich nah an ner Panikattake, als ich in Italien eine kleine steile, schlechte Straße mit Schlaglöchern und Schotter runter sollte.
Schlimmste aller Abfahrten beim SuperGiroDolomiti
Die schlimmste Abfahrt war die beim SuperGiroDolomiti vom Lanzenpass: sau steile Kehren mit Steinchen, abgeschwemmter Erde, Bodenwellen und Löcher noch und nöcher.
Gott sei Dank war es wenigstens trocken!
Nach dem diesjährigen Ötztaler (siehe Christian Kratz Bericht dazu) unter extremen Bedingungen ist mir wieder bewusst geworden, dass eine Verbesserung der Fahrtechnik essentiell ist. Dafür werde ich nicht nur das Rennrad, sondern vor allem auch Crosser und MTB nutzen, um meine Skills auszubauen.
(Daniel):
Ein weiteres Thema, über das sich Lisa intensiv Gedanken machte, ist der vermeintliche anatomische Nachteil von Frauen gegenüber Männern. Müssen Frauen für die gleiche Leistung deutlich mehr trainieren?
Hierzu ihre Gedanken…
Kann Mann mit weniger Training schneller sein als Frau?
Da liest man dann in sozialen Netzwerken, wie Frauen klagen, dass sie leider nur einen 28er-Schnitt fahren können und sich nicht trauen mit anderen in der Gruppe zu radeln.
Das find ich extrem schade.
Gerade bei größeren Gruppen lassen einige Männer die Frauen deutlich spüren, dass sie auf sie herabblicken. Nicht nur gehört den Frauen erklärt, dass sie nicht schlecht sind, sondern besonders auch den Männern gesagt, dass sie gar nicht besser als die vermeintlich schlechteren Frauen sind.
Müssen Frauen tatsächlich mehr für gleiches Ergebnis trainieren?
Folgendes Beispiel sollten sich sowohl weibliche, als auch männliche Radfahrer zu Gemüte führen:
80 kg Mann mit 3 W/kg an der FTP, also 240 Watt. 50 kg Frau mit 4 W/kg FTP, 200 Watt.
Fährt der Mann im Flachen mit 200 Watt dahin, ist er im GA2, während eine Frau an der FTP bei 200 Watt schnell abkotzt, obwohl sie viel besser trainiert ist als der Mann.
Männer sind von Natur aus stärker.
Der Hormonspiegel des Testosterons ist bei Männern viel höher als bei Frauen. Das wirkt als natürliches Doping, nicht umsonst nehmen Kraftsportler das Hormon zur Leistungssteigerung.
Der Hämoglobingehalt, also die Zahl der roten Blutkörperchen ist bei Männern höher als bei Frauen und wirkt wie natürliches EPO.
Größerer Motor bei Männern von Natur aus
Männer haben u.a. ein größeres Herz und Lungenvolumen. Das macht sich dann auch deutlich an einer höheren VO2max fest.
Zwar wiegen Männer mehr, aber das mehr an Gewicht resultiert durch höhere Muskelmasse, während Frauen einen größeren Körperfettanteil haben. Noch nicht ganz erforscht ist die Anatomie beim Radfahren.
Beim Laufen weiß man, dass das breitere Becken der Frau sie langsamer macht. Im Bevölkerungsdurchschnitt haben die besten 20 % der Frauen dieselbe körperliche Leistungsfähigkeit, wie die schlechtesten 20 % der männlichen Bevölkerung1.
Bei kaum einer anderen Sportart ist der Unterschied so stark zu spüren wie im Radsport. Eine Elitefrau ist nicht besser als ein C-Lizenz-Fahrer.
Eigentlich entspricht 4 Watt/kg an der FTP bei der Frau auf Männer umgerechnet: 4,6 Watt/kg vom relativen Leistungsvermögen her (vgl. Andrew Coggan).
Das heißt, die Frau ist von ihrem Trainingszustand dem Mann weit voraus!
Aber nicht nur im Flachen, auch am Berg bringen mehr Watt Vorteile: das Gewicht der Ausrüstung ist dann nämlich gleich und drückt die relative Leistung.
Bei kaum einer anderen Sportart ist der Unterschied so stark zu spüren wie im Radsport. Eine Elitefrau ist nicht besser als ein C-Lizenz-Fahrer.
Sagen wir, Fahrrad, Getränke, Kleidung betragen 10kg.
Lisas Kalkulation
Wären im obigen Beispiel dann 90 kg gesamt beim Mann mit 2,7 Watt/kg an der FTP und bei der Frau mit 60 kg: gesamt 3,3 Watt/kg.
Der Unterschied von 1 W/kg beim Betrachten des reinen Körpergewichts schrumpft dann auf 0,6 W/kg.
Ich begegne immer wieder der Arroganz der Männer im Flachen, die mich als Frau nicht für voll nehmen.
Das nervt enorm!!
Über den Partner zum Radsport
Viele Frauen kommen über ihren Partner zum Rennrad fahren. Oft ist es so, dass man Pärchen sieht, bei denen der Mann mit dem viel besseren Material unterwegs ist. Er mit Aerocarbon-Rad und Laufrädern, sie auf einem älteren Alumodell.
Ein Rennrad ist nicht gerade günstig, und viele Frauen wollen als Anfänger nicht so viel Geld für Technik in die Hand nehmen (können).
So hechelt die Frau schon allein aufgrund des schlechteren Material hinterher und die geringere Wattleistung kommt noch obendrauf.
Das macht natürlich keinen Bock auf mehr!
Bis später,
Eure Lisa!
Fotos: Lisa Brunnbauer, Privat
1Quelle Wikipedia: Helena Carreiras, Gerhard Kümmel: Women in the Military and in Armed Conflict (= Schriftenreihe des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr. Band 6). 1. Auflage. Springer VS, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-15834-1, Women in Combat: Reconsidering the Case Against the Deployment of Women in Combat-Support and Combat Units, S. 10 (englisch, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)