Per Youtube Aufruf suchten Kante und ich einen SpeedVille Reporter für den Kufsteinerland Radmarathon. Unsere Wahl fiel auf Ronny. Warum? Einfach sausympathisch. Dass Ronny etwas untertrainiert ist und seine liebe Mühe mit den knapp 2.000 Höhenmetern hatte, war zwar schlecht für Ronny – aber gut für die Dramaturgie.
Von Ronny Sennholz
Was ihr hier lest, ist ein Tatsachenbericht.
Keine romantische „Ich hab die allerbeste Leistung meines ganzen Lebens abgerufen“ Story.
Nein.
Was jetzt folgt, ist ein Tatsachenbericht über einen Typen, der nach knapp zweieinhalbtausend „Trainings“ Kilometern meint, er müsse sich am Ende der Radsaison nochmal richtig einen geben.
SpeedVille Reporter per Youtube Aufruf
Der meint, er müsste dem Aufruf von Kante und Daniel folgen und sich um einen Startplatz beim Kufsteinerland Radmarathon bewerben (siehe deren Youtube Video).
Der meint, er müsse das Ding zusammen mit Kante fahren! Ein Tatsachenbericht über einen Typen, der 2000 Höhenmeter in 123 Kilometern absolviert und dabei leidet. Und zwar so richtig. Doch der Reihe nach. Wie kam es eigentlich dazu?
Es ist Montag, kurz vor 10 im Büro. Das Smartphone vibriert.
Eine Nachricht im Facebook Messenger.
Daniel von Speed-Ville schreibt:
Hi Ronny, checkst du mal bitte deinen E-Mail Eingang. Wir würden dich gerne mitnehmen zum Kufsteiner! VG Daniel
Angst & Vorfreude vorm Kufsteinerland Radmarathon
Sofort war es da, dieses Gefühl irgendwo zwischen Angst, Respekt, Vorfreude und Entschlossenheit. Ein Gefühl, das ich bis zum Zieleinlauf nicht mehr loswerden sollte. Denn in der Mail stand auch nochmal explizit:
Nur zum Verständnis: Ihr würdet beide bei der großen Runde an den Start gehen (120km, 1800hm)!
Das wäre definitiv das härteste, was ich bis jetzt auf dem Rad gemacht habe, das war mir bewusst. Was ich bis jetzt in diesem Jahr vorzuweisen habe, ist ja aber schließlich auch nicht gar nix: Rosenheimer Radmarathon – 112km, 1200hm & Erdinger RTF 149km und 1400hm.
Da werd ich so ein paar Höhenmeter mehr schon schaukeln.
Erstes Treffen in Kufstein fürs Warm-Up
Am Samstag vor dem Marathon treffe ich Kante zum ersten Mal persönlich in Kufstein. Mit dem Rad. Kurz anschwitzen und so. Schonmal schauen, wie die Gegend so ist und ein paar Fotos machen für den Blog.
Da hat sich Kante auch gleich was Tolles ausgedacht:
Fahren wir doch hoch Richtung Thiersee. Soll ja schön sein dort oben. Der hat gar keine Ahnung wie schön. Und wie schön es da raufgeht.
Den Anstieg kenn ich gut, den bin ich schon x-Mal gefahren…mit dem Auto. Auf dem Rad allerdings noch nie. Natürlich wusste ich schon bei meiner Bewerbung, dass ich da hoch muss und das bei weitem nicht der härteste Anstieg des Tages sein wird.
Trotzdem schlucke ich erstmal und frage Kante, ob das tatsächlich sein Ernst ist.
Ist es. Gut.
Dann halt nach Thiersee, morgen muss ich da ja schließlich auch hoch. Und so fahren wir los, im Flachen noch ich vorn weg, schließlich kenne ich mich ja hier ein wenig aus.
Aber das mit dem vorn wegfahren ändert sich schnell, als wir in den Anstieg gehen. 3,3km 6,6% Steigung im Schnitt, Kante kann deutlich schneller, das wird sofort klar.
Ich kurble vor mich hin. Immer schön kontinuierlich und gleichmäßig. Das Garmin zeigt 10% Steigung, ein Umstand, den mir das Gerät noch das ein oder andere Mal vor Augen führen soll. Puuuh.
Nach 18 Minuten und 12 Sekunden komme ich an der „Passhöhe“ oben an. Mehr schlecht als Recht, aber ich komme oben an. Das erleichtert mich ungemein, denn wenn ich das packe, dann packe ich den Rest auch!
Durchschnittspuls von 167
Dann der Blick aufs Garmin: Durchschnittspuls 167, Durchschnittsgeschwindigkeit 9,4km/h…ohoho, das kann ja was werden morgen!
Eigentlich war nicht geplant, dass ich nur der rollende Bremsklotz für Kante bin. Bis Thiersee fahren wir dann nicht mehr runter. Wir müssten ja sonst auch wieder hoch, meint Kante.
Zum Glück, denke ich.
Unten angekommen, besprechen wir dann alles Weitere für Sonntag und verabreden uns für halb acht vor dem Hotel. Als Henkersmalzeit gibt es zum Ausklang des Tages noch einen Cheeseburger mit Bacon, Spiegelei und Pommes zusammen mit Frau und Kind in der Kufsteiner Altstadt.
Ob das aus ernährungswissenschaftlicher Sicht so gut ist 12 Stunden vor dem Wettkampf? Das bezweifle ich, aber es schmeckt.
Auf geht’s nach Kufstein
Sonntag mache ich mich dann gegen 6:45 Uhr auf den 40-minütigen Weg Richtung Kufstein. Auf dem Weg vorbei an Bayrischzell sieht man Nebelfelder, die in der aufgehenden Sonne hell erstrahlen, die Wiesen sind reifbedeckt, es herbstelt.
Das Thermometer im Auto zeigt 9°C.
Was zieht man denn da wieder an, damit es nicht zu warm wird, du dir aber in der Abfahrt auch nicht den Ar*** abfrierst? Zumal der Wetterbericht auch im Laufe des Tages weit über 20°C ansagt.
Ich entscheide mich im Endeffekt für kurz/kurz mit Armlingen und liege am Ende damit genau richtig.
Eine halbe Stunde vor dem Start.
Kante ruft an, er wartet in der Tiefgarage an seinem Auto. Mein Bike hab ich gleich dort gelassen. Wir bereiten alles vor und machen uns langsam auf den Weg zum Start, zusammen mit ca. 550 anderen Rennradverrückten.
Wie viele davon wohl den Blog lesen?
Doppelter Espresso – und es kann losgehen
Wir haben noch etwas Zeit, also gönnen wir uns noch einen doppelten Espresso mit einem Schuss Milch. Da wandert mein Blick zu den anderen Startern. Was man bei solchen Veranstaltungen für Bikes sieht, ist schon Wahnsinn.
Da fühle ich mich immer etwas „underdressed“ mit meinem BMC Alurenner mit Shimano Sora 9fach Gruppe.
8 Uhr.
Der Startschuss fällt und wir machen uns auf den Weg, vorbei an der Festung, über den Inn direkt in den ersten Anstieg nach Thiersee. Den Anstieg von gestern.
Und was soll ich sagen, auch wenn Kante wieder ziemlich schnell davonziehen kann, geht das heute schon deutlich leichter. Das fühlt sich ja fast schon gut an. Ich versuche mein Tempo zu finden und mich nicht von der Euphorie dazu verleiten zu lassen, gleich am Start zu überpacen.
An der ersten Passhöhe des Tages bin ich viereinhalb Minuten schneller, als am Tag zuvor. Die ersten 200 Höhenmeter geschafft! Saubere Sache! Fehlen nur noch 1600. Und 115km.
Kante muss heute oft warten
Kante wartet aber schon das ein oder andere Mal auf mich. Ein Umstand, der im Laufe des Marathons zur Gewohnheit werden sollte. „Hmmmm, hoffentlich geht ihm das nicht irgendwann auf die Ketten“, denke ich mir. Es liegt ja noch einiges an Arbeit vor uns.
Egal. Weiter geht’s am malerischen Thiersee vorbei. 3km bergab und dann direkt in den nächsten Anstieg Richtung Hinterthiersee. Nicht ganz ohne das Ding. 9% Steigung auf 2km, 13% in der Spitze.
Der KOM bei Strava liegt bei 6:04 Minuten, ich brauche heute fast das Doppelte. Mir wird wieder bewusst, dass das heute eine ganz harte Nummer wird. Die Kuppe kommt aber langsam in Sichtweite, ich kurbel weiter kontinuierlich nach oben.
Kante dreht Ehrenrunden. Ein paar Kilometer später ist Hinterthiersee erreicht und ich weiß: Gleich geht’s bergab. Erstmal ausruhen. Die Abfahrt ist nicht ganz ohne. Schattig. Eng. Steil. Kurvig. Und schon sehe ich die erste Fahrer auf der Bordsteinkante sitzen.
Ich nehme raus.
Auch wenn ich eh schon nicht all zu schnell unterwegs bin. Wo ist Kante? Wahrscheinlich schon fast wieder in Kufstein. Wieder auf der L37 Richtung Kufstein angekommen, versuche ich Gas zu geben.
Das Terrain ist an dieser Stelle genau meins: Leicht abschüssig, das kann ich, das mag ich. Die Beine spielen mit. Ich gebe Gas und sehe Kante.
Herrje, der Kerl muss schon wieder auf mich warten… Als Dank übernehme ich die Führungsarbeit, was heute nicht oft passiert. Mit ca. 40km/h geht es zurück Richtung Thiersee. Ich vernehme ein anerkennendes „gutes Tempo“ von Kante.
Motivation pur!
Kufstein zum zweiten Mal
Wieder in Thiersee angekommen, geht es zurück Richtung Kufstein, auf dem selben Weg wie hinwärts. Kante meint irgendwann: „Moment, hier waren wir doch heute schon mal, oder!?“
Meine Antwort: „Du hast die dir Strecke echt nicht angeschaut, oder?“
Wir kurbeln Richtung „Passhöhe“ von gestern und es geht in die Abfahrt nach Kufstein zurück. Auch hier bin ich am Ende schneller als am Samstag.
Wieder in Kufstein angekommen, wird mir zum ersten Mal bewusst, dass Kreisverkehre und Kreuzungen mit Streckenposten abgesichert sind, die alle Autofahrer aufhalten, sobald man kommt.
So kann man deutlich beruhigter in diese potenziell gefährlichen Stellen gehen, denn komplett für den Verkehr gesperrt, sind die Straßen nicht.
Top Sache! Weiter geht’s in Richtung Innsbruck. Ca. 30km sind es bis zur Hauptschwierigkeit des Tages, dem 4km langen, im Schnitt 10% steilen Anstieg nach Brandenberg.
Die Nervosität steigt.
Kante wird aber nicht müde mich zu motivieren. Ich versuche im Flachen weiter das zu treten, was ich auf dem Weg nach Thiersee getreten habe. Merke aber schnell, dass die Kraft jetzt schon weniger wird. Wir fangen an uns über Trainingsplanung zu unterhalten.
Meine Trainingsplanung? Keine Planung
Ja. Trainingsplanung. Wie würde es mir wohl gehen, wenn ich tatsächlich strukturiert trainieren würde? Mein Training sieht ungefähr so aus: Ab auf‘s Rad. Der Rest läuft schon. Mir wird immer klarer, dass die Realität anders aussieht. Da muss ich für die nächste Saison definitiv was ändern.
Es folgen zwei kurze Anstiege, einer davon auch recht knackig. Die Maschine läuft aber noch einigermaßen. Keine 10km mehr bis zum Scharfrichter.
Verpflegungsstelle! Yes! Kurze Pause! Wasser gibt’s.
Okay, kann ich mit leben. Ein Gel in meiner Lieblingsgeschmacksrichtung Mojito (Anm. v. Daniel., Mojito???) reingedrückt und weiter geht die wilde Fahrt.
Er ist da: Der Scharfrichter nach Brandenberg
Ich weise Kante nochmals darauf hin, dass das für mich gleich eine ganz harte Nummer wird und dass ich nicht garantieren kann, dass ich wirklich oben ankomme.
Kantes Antwort: „Klar packst du das!“
Und so beginnt es. Die Höhenmeter auf dem Garmin steigen: 10%.
Ungefähr in der Mitte des Anstieges wird’s dann zäh. Kante wird nicht müde, mich zu motivieren. Zeit und Höhenmeter vergehen. „Eine Kurve noch, dann haben wir’s“, sagt er.
Mehrfach und nicht zum letzten Mal am heutigen Tag. Doch was ist das?
Es wird tatsächlich flacher. Ich höre irgendwann irgendwen etwas von einer 18% Steigung reden, die da noch kommen soll. Ist mir in dem Moment komplett egal, denn ich bin erst mal oben.
Am höchsten Punkt der Strecke! Ein Schild kommt. Darauf steht: Labestation 500m. YES! ESSEN! Sehr gut!
Es gibt Cola, Isodrink, Wasser, diverse Riegel und Bananen.
Die Helfer an der Labestation sind, wie eigentlich alle Mitwirkenden an der Veranstaltung, nett und super drauf.
Ich kipp mir zwei Becher Cola hinter, esse anderthalb Riegel und eine Banane.
Nicht zu früh freuen – es warten noch 18%
Kante fragt nochmal nach dem 18% Stück und es wird ihm bestätigt. Ohhohh…und ich dachte das Härteste wäre jetzt geschafft.
Das Garmin zeigt schon 1200hm. Es fehlen doch nur noch 600 bei 55km Reststrecke.
Wir fahren weiter, es geht bergab und ich frage mich, wann dieses Monstrum von Anstieg wohl auf mich warten wird. Die Beine werden immer schwerer. Es geht wieder bergauf. Mr. Hammer’s commin‘.
Schon wieder über 10% Steigung auf dem Garmin und es wird immer steiler. Ich gehe aus dem Sattel. Die Oberschenkel beginnen zu krampfen, die Muskeln machen komplett zu. Das war’s! Ende! Gescheitert! Ausgeklickt!
Ich mag nicht mehr
Ich hock mich jetzt an den Straßenrand und warte auf den Besenwagen. Ich geb’s zu, ich bin ein Weichei und das Ding ist ne Nummer zu groß für mich. Aus! Ende!
Aber Kante lässt das einfach nicht zu, er redet auf mich ein und bringt mich doch wieder aufs Rad. Zwei Kurven zumindest. Dann muss ich wieder runter. Das 18% Stück ist da und ich schiebe den Bock bergauf.
Erst als ich die Kuppe sehe, hellt sich meine Stimmung wieder auf. Ich setze mich wieder aufs Rad und fahre über die Kuppe, auf der Kante auf mich wartet. Ab jetzt geht’s vorerst nur bergab.
Die Abfahrt lassen wir schnell hinter uns und die anschließenden 15km folgen wir in flachem Terrain dem Innradweg bis Breitenbach am Inn.
Etwas Zeit die traumhafte Landschaft zu genießen. Bis es wieder aufwärts geht. Wieder zeigt Garmin 10%, aber nur kurz.
Noch eine Verpflegungsstelle
Wir kommen zur nächsten Verpflegungsstelle. Wieder gibt’s Cola, Riegel und Bananen und ich weiß genau, dass ich die nächsten Tage keinen Bock mehr auf was Süßes haben werde.
Wir passieren Kilometer 100, auf dem Garmin steht ein Gesamtanstieg von nicht ganz 1800hm. Ein Ende ist in Sicht! Wir folgen einer Innschleife und ich sehe ein Schild das sagt: Kufstein 7km. Jetzt haben wir es gleich!
Aber warum zur Hölle winkt der Streckenposten woanders hin!? Richtung Anstieg!?
Och nö, das kann doch nicht sein… Wieder aufwärts!? Wieder sagt Garmin 10% und mehr. Na warte Garmin, wenn ich erstmal im Ziel bin wird dieses Datenfeld entfernt!
Genauso wie das mit den Gesamthöhenmetern, das zeigt nämlich schon über 1900hm, 1800 sollten es doch nur sein?!
In einem kleinen Dörfchen (Schwoich heißt es, wie meine Recherchen im Nachhinein ergeben), geht’s dann nochmal links ab und nochmal ordentlich hoch. Ich mag nicht mehr aufs Garmin schauen, aber es sagt sicher wieder mindestens 10%.
Am Ende des Hügels sitzt ein Fotograf mit 3 (!!!) Spiegelreflexkameras und er ruft mir zu: „Auf geht’s, das ist der letzte Berg, danach geht’s nur noch bergab!“
Ich glaube ihm kein Wort.
Festung in Sicht – zurück nach Kufstein
Am Fuße der engen Abfahrt, gesäumt von Fotografen und Streckenposten – ich kam mir ein wenig vor, wie bei einer Abfahrt der Tour – wartet Kante auf mich. Nochmal auf die Bundesstraße Richtung Kufstein, einen kleinen Hügel hoch.
Plötzlich taucht die Festung vor uns auf! Kufstein ist erreicht! Wir fahren runter zum Inn und biegen, an der Festung entlangfahrend, auf die Start- und Zielgerade. Euphorie pur!
Gemeinsam überqueren Kante und ich nach offiziell 6 Stunden 14 Minuten und 10 Sekunden die Ziellinie. Die reine Fahrzeit beträgt 5 Stunden 48 Minuten und 29 Sekunden. 21,3km/h im Schnitt. 2010hm.
Ich bin komplett fertig aber mega happy, dass ich das Ding geschafft habe. Am Ende blicke ich mit einer gehörigen Portion Stolz auf diesen Sonntag zurück.
Das war unterm Strich das Härteste, dass ich bis jetzt auf einem Fahrrad hinter mich gebracht habe. Es war hart, aber hat auch eine Menge Spaß gemacht. Und das lag vor allem an Kante. Was für ein cooler Typ!
Er hat es die ganze Zeit geschafft, mich zu motivieren, hat mich mitgezogen und gepusht. Ohne ihn hätte ich das Ding wohl nicht durchgezogen und wäre irgendwann auf direktem Wege nach Kufstein zurückgefahren.
Danke für die Chance, mit dir den Kufsteiner zu fahren! Nächstes Jahr bin ich wieder dabei. Dann hoffentlich mit etwas mehr Schmalz in den Beinen.
Ronny.
>> Und so hat Kante den Kufsteinerland Radmarathon erlebt – eine etwas andere Perspektive (zum zweiten Teil)
Fotos: Tourismusverband Kufsteinerland, Erwin Haiden, Ronny Sennholz, Michael Kannacher