Dass Mathias Nothegger den Ötztaler 2018 gewonnen hat, ist keine ganz große Überraschung. Schließlich wurden die Etappenrennen (Tour de Kärnten) und Radmarathons, bei denen er in diesem Jahr an den Start ging, mehrheitlich von ihm dominiert. Um einmal ein Gefühl dafür zu bekommen, wie stark seine Leistung wirklich war, haben wir seine Leistungsdaten für den Ötztaler Radmarathon fein säuberlich seziert, filetiert und analysiert.
Was musste Mathias Nothegger investieren, um den Ötztaler Radmarathon 2018 zu gewinnen?
Darum geht es in der heutigen Leistungsanalyse.
Mit Worldtour Analyst & Coach Philipp Diegner haben wir, mit Zustimmung vom Mathias, die Strava-Leistungswerte (Watt & HF) für die etwas über sieben Stunden dauernde Fahrt so aufbereitet, dass ein jeder sich ein Bild machen kann, was man auf die Kette bringen muss, um als Erster ins Ziel in Sölden zu fahren.
Tipp vorab: Wer mehr über Mathias erfahren möchte, dem empfehle ich wärmstens das Videointerview, dass ich im Juni mit ihm auf unseren Youtube-Kanal gemacht habe:
Titel: Wer ist eigentlich Mathias Nothegger? Alle Infos zum Radmarathon Fahrer im Interview!
>> Hier geht’s zum Videointerview (45 min.) mit Mathias
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Übersicht der heutigen Analyse:
- wie viel Watt tritt er beim Ötzi 2018?
- wie viel Leistung (Watt) brauchte er für die Anstiege?
- wie stark baute Mathias im Verlaufe des Marathons ab?
- im Vergleich zu seinem Konkurrenten Hagenaars?
- im Vergleich zum „Mittelfeldfahrer“?
- Mathias antwortet auf eure Fragen
Leistungsanalyse Mathias Nothegger – so gewann er den Ötztaler 2018
Von Philipp Diegner
Rennverlauf für Mathias Nothegger
Er bleibt bis zum Timmelsjoch an den größten Konkurrenten dran und muss nicht allzuviel investieren.
So kann er dann auch an den langen Anstiegen eine sehr nachhaltige Pacingstrategie wählen. Im Schnitt ist er niemals über 300 Watt gefahren – das ist weit unter seinen maximalen Fähigkeiten.
Der Vorteil: Auch am Timmelsjoch büßt er so gut wie keine Leistung ein und kann sich dort entscheidend absetzen. Oben ist er dann ganz allein – mit knapp 4 Minuten Vorsprung.
Der Vergleich zur Konkurrenz
Patrick Hagenaars erlebt ebenfalls einen tollen Ötzi und wird am Ende fantastischer Dritter mit einer Zeit von 7:14:53 Stunden.
Interessanterweise liegt er schon nach dem Kühtai knapp 3 Minuten hinter der Spitze um Nothegger.
Zeit, die er teils am Brenner und dann den Rest vor dem Jaufenpass wieder gutmacht, bevor er am Timmelsjoch nicht ganz mit dem späteren Sieger mitgehen kann.
Mathias Nothegger | Patrick Hagenaars* | Top 750 Fahrer | |
Kühtai | 55:12 bei 4.83W/kg | 58:05 bei 4.59W/kg | 1:20:00 bei ca. 3.5W/kg |
Brenner | 1h10:35 bei 3.81W/kg | 1h09:09 bei 3.58W/kg | 1h22:00 bei ca. 2.8W/kg |
Jaufenpass | 50:37 bei 4.85W/kg | 50:40 bei ca. 4.8W/kg | 1:05:00 bei ca. 3.3W/kg |
Timmelsjoch | 1h26:11 bei 4.66W/kg | 1h33:58 bei ca. 4.1W/kg | 2h00:00 bei 3.1W/kg |
*Hagenaars Leistungsmesser hatte am Jaufenpass und Timmelsjoch einige Aussetzer – die Wattwerte sind Schätzungen basierend auf den vorhandenen Daten
Die Bewertung vom Worldtour-Leistungsanalyst Philipp Diegner
Wie bewertest du die Leistung von Mathias Nothegger beim Ötzi 2018 im Vergleich zu den Topfahrern in 2017?
Das war eine wirkliche tolle Leistung von Mathias. Gerade wenn man die Bedingungen berücksichtigt: Am Ende war er trotzdem nur 4 Minuten über der magischen 7 Stunden Grenze.
Schwer zu sagen, wie viele Minuten er mit dem 2017er-Wetter gewesen wäre, aber schneller ganz sicher.
Viele Teilnehmer beschwerten sich hinterher über das schlechte Wetter, v.a. in den Abfahrten. In den Auffahrten wiegen die Wetterverhältnisse nicht ganz so schwer. Wie bewertest du Notheggers Auffahrtszeiten?
Es war vergleichsweise wirklich katastrophal – und dadurch extrem hart!
Bei der Nässe und Kälte kommen viele Athleten in der Anfangsphase nicht auf Touren und erreichen zudem niemals ihre wirkliche Leistungsfähigkeit. Da spielt auch bergan der Kopf eine starke Rolle.
Mathias hatte eindeutig einen Plan, den er trotz der widrigen Verhältnisse umsetzen konnte.
Die Kletterzeiten waren stark.
An jedem Anstieg war er ganz vorne dabei und mit den 4.8-5 W/kg wäre er auch im letzten Jahr um den Sieg mitgefahren.
Wie gut ist ein Fahrer trainiert? Leistungsrückgang im Laufe des Marathons
Wie stark baut Mathias im Verlaufe des Ötztalers ab? Im Vergleich dazu: Wie stark baut ein „Mittelfeldfahrer“ ab?
Der minimale Leistungsrückgang war besonders bemerkenswert: Er konnte die Leistung vom Kühtai sowohl am Jaufenpass, als auch in der unteren Hälfte des Timmelsjochs konstant halten.
Erst im steileren letzten Teil des finalen Anstiegs ging sie um 3-5% zurück. Da war er aber schon auf dem Weg zu Sieg. Außerdem war das bei ihm immer noch um die 4.5 W/kg.
Bei den meisten Teilnehmern im Mittelfeld sieht man mind. 10% Unterschied vom Kühtai zum Timmelsjoch. In der Regel sind es sogar eher 15-20%.
Welche Zeit schätzt du, hätte Mathias bei schönem Wetter fahren können?
Dazu eine kleine Einschränkung: Der Rennverlauf wäre dann vermutlich anders gewesen. Aber es ist anzunehmen, dass mit gleicher Leistung und trockenen Straßen, bei Temperaturen um die 20 Grad, nochmal mind. 5-6 Minuten drin gewesen wären!
Mathias sagt ja auch selbst, dass vor allem die Abfahrten extrem schwierig waren.
Der Einfluss von Kälte auf die Leistungsfähigkeit
Welchen Einfluss haben die Kälte und Nässe auf die Leistungsfähigkeit? Was macht das mit dem „System“?
Wie oben schon kurz erwähnt, reagieren verschiedene Fahrer ganz unterschiedlich darauf.
Manche werden nie wirklich warm und sobald sie einmal durchgefroren und durchnässt sind, können sie die Leistung muskulär überhaupt nicht mehr abrufen.
Viele erleben auch eine leichte Form von Anstrengungsasthma, induziert durch die Kälte. Das ist natürlich beim Ötzi katastrophal. Irgendwann macht dann auch der Kopf nicht mehr mit.
Dann gibt es andere, die damit von Natur aus besser umgehen können, oder einfach besser an solche Wetterbedingungen gewöhnt sind.
Soll heißen, es ist trainierbar!
Mathias Nothegger beantwortet Leserfragen
(Bastian M.:)
Wie sah deine Renneinteilung aus?
Nothegger: Der Plan war bis zum Timmelsjoch nichts zu machen und dann schauen, dass ich so lange wie möglich an Zenn und Checco dran bleibe. Zenn ist dann aber eh nicht gefahren.
(Jonas L.:)
Was ging ihm durch den Kopf, als er die ersten Schlechtwetterprognosen gelesen hatte?
Nothegger: Ach du Sch***e, muss das sein? Ich mag nicht…
Wie hat er sich den Bedingungen angepasst? Kleidung, Ernährung…
Nothegger: Zur Ernährung: Kalorienmenge zum normalen Wetter x 1,5. Bei der Kleidung vier Schichten: Unterhemd, Trikot, leichte Weste, dicke Weste mit wasserdichten Halbärmeln, Armlinge und eine Kappe.
(Friedl S.:)
Wie sieht bei so einem Wetter die Pacingstrategie aus, wenn er sonst die Pässe mit evtl. 88-90% der FTP fahren würde?
Nothegger: Der FTP-Wert ist für mich nicht existent, weil der Wert an sich quatsch ist und jeden Tag ein anderer sein kann. Beim Ötzi kannst du nicht annähernd an der 20 Minutenleistung fahren.
Beispiel: Die 20 Minuten-Bestleistung beträgt bei mir 409 Watt. Die Leistung beim Ötzi war:
- Kühtai mit ca. 290 Watt
- Brenner mit ca. 220 Watt
- Jaufenpass mit ca. 290 Watt
- Timmelsjoch mit ca. 285 Watt
Also, die FTP hat hier nix zu suchen ;-)
(Frederik B.:)
Wie sah sein Tapering vor dem Ötztaler aus? Wenn ich es richtig mitbekommen habe, ist er in den letzten zwei Wochen vor dem Ötzi zwei Mal den kompletten Kurs abgefahren, einmal sogar im Renntempo.
Nothegger: Ich hab das extra beim Highlander im Training schon probiert: Ich bin den Highlander mehrmals im Training gefahren und habe dann 8 Tage benötigt, um mich davon zu erholen und wieder am Leistungsmaximum zu sein.
Genauso hab ich es beim Ötzi gemacht: 8 Tage lang fast nix – 1,5h je Einheit und keine Intensitäten.
(Miriam J.:)
Mich würde interessieren, wie und ob er sein Material bei dem schlechten Wetter extra anpasst hat! Carbonfelgen/Bremsflanken ja/nein? Spezielle Tricks bei der Kleidung? Welche Handschuhe sind top?
Nothegger: Nein, ich habe leider auf trockenes Wetter gepokert. Es waren absolute Trockenreifen, mit welchen ich ca. 60 Watt auf die ganze Ötzistrecke sparen kann, aufgezogen. Das habe ich dann am Jaufen, weil der so einen rutschigen Belag hat, gebüßt.
Zu der Frage mit den Handschuhen: Latexhandschuhe aus der Leistungsdiagnostik. Die sind leicht und 100% winddicht. Bei den Labestationen konnte ich sie gut entsorgen.
Wegen den Carbonfelgen: Ich nutze Felgen von Airstreeem. Die bremsen bei jedem Wetter genau gleich gut – da musste ich nicht mal drüber nachdenken.
Was isst er während des Ötztalers? Gibt es auch mal einen Stopp an einer Labe oder alles extern?
Nothegger: Leider musste ich alle Labestationen auslassen. Dieses Jahr waren die Jungs so fokussiert, keiner wollte zum Beispiel eine Pippipause machen – was ich persönlich total blöd finde.
Was esse ich bei dem Wetter? Wie gesagt, normale Ernährung x 1,5. Also sechs Flaschen NOM COMPETITION (high Carb Drink, Link in seinen Shop).
Dann noch zwei Mars und vier Gels (aber nur, weil ich an kalten Tagen nicht genug trinke, um die Kohlenhydrate aufzunehmen).
(Wolfgang Z.:)
Du hast im Ziel gesagt, du hättest bei der Jaufenabfahrt die Hosen voll gehabt. Was war da so schlimm „für einen Profi“?
Nothegger: Meine Reifenwahl, mir ist sicher vier Mal das Hinterrad total weggerutscht und zwei Mal das Vorderrad, so dass ich schon ausklicken musste.
Lude hat mir mal gesagt, am Timmelsjoch fährt man immer gegen eine Teamtaktik der Italiener. Hast Du das auch so empfunden alleine gegen den Rest der Gruppe fahren zu müssen?
Nothegger: Nein, da Samuele ein guter Freund ist, und wir vorab schon abgemacht hatten, Checco gemeinsam zu attackieren.
Am Timmelsjoch kannst eh nur dein Tempo fahren und darfst bei Attacken auf keinen Fall mitgehen, da der Berg einfach zu lang ist, um in den roten Bereich zu gehen.
Was glaubst Du, wo würde die Zielzeit landen, wenn die Führungsgruppe nicht aus dem Auto verpflegt würde, sondern wie alle anderen auch in Selbstversorgung überleben müsste?
Nothegger: Statt 7:04 Stunden mit Sicherheit bei ca. 7:10 Stunden!
Abschließend war es Mathias noch sehr wichtig, losgelöst von obigen Fragen, zu folgendem Punkt Stellung zu beziehen:
Warum ist er eigentlich beim Regen gefahren, obwohl er vorher angekündigt hatte, bei Regenwetter nicht zu fahren?
Seine Antwort darauf:
Der Grund war, dass ja massivst gemunkelt wurde, dass beim Ötztaler in diesem Jahr Dopingkontrollen stattfinden – ich wollte mir nicht nachsagen lassen, dass ich dann wegen den Kontrollen nicht starte. Darum bin ich bei dem Mistwetter gefahren.
Fotos: Ötztal Tourismus, Ernst Lorenzi, Jürgen Skarwan, Lukas Ennemoser, Ricardo Gstrein
Linkübersicht:
– Philipp Diegner analysiert den Radmarathon eines Trainingsathleten (Link)
– NOM Training von Mathias Nothegger
– NOM Sportsfood Onlineshop