Die Teilnahme bei einem Etappenrennen erfordert deutlich mehr Planung & Strategie als ein eintägiges Radrennen. In diesem Artikel zeigen wir auf, was man am Beispiel der Tour de Kärnten (wie im Vorjahr bereits ausverkauft!!) alles beachten muss, damit nach Tag 1 nicht das ganze Pulver verschossen ist.
Etappenrennen wie die Tour de Kärnten, Tour Transalp oder z.B. Haute Route üben ihre ganz eigenen Faszinationen aus:
Sich mal für mehrere Tage mit Gleichgesinnten auf dem Rad zu messen! Wer teilt sich seine Kräfte intelligenter ein? Wer hat das größere Standvermögen?
Im Gegensatz zu Eintagesrennen oder Radmarathons gibt es bei mehrtägigen Etappenrennen naturgemäß deutlich mehr Dinge zu beachten – was wir in diesem Artikel am Beispiel der Tour de Kärnten aufzeigen:
- wie teile ich mir die Kräfte über die 6 Etappen ein?
- gehe ich beim EZF bereits „All In“ oder lasse ich mir einen Puffer?
- absolut entscheidend: Wie regeneriere ich NACH den Etappen
- mit welcher Leistung fahre ich die Anstiege hoch, um die Balance zu wahren zwischen sportlichem Ziel und durchkommen ohne zu krass zu erschöpfen!
In diesem Artikel zeigen Coach & Sportwissenschaftler Philipp Diegner und ich anhand der eben genannten Parameter auf, wie man seine Teilnahme bei der TdK maximal erfolgreich gestalten kann…
Hinweis: Philipp Diegner hat 5 Workouts in diesen Artikel gepackt (s.u.), die euch in eurem Training bestmöglich auf die TdK vorbereiten – ob für 2019 oder natürlich in den folgenden Jahren!
Echt wichtiger Hinweis:
Mit Titelverteidiger & Ötzi-Sieger Mathias Nothegger führten wir dieses super interessante Interview (siehe Video auf Youtube!), in dem er die Etappen der TdK 2019 analysiert und auf Strategien & Konkurrenten (wie Team Strassacker) eingeht!
=> Unbedingt gucken, wenn du mehr über Strategien bei Etappenrennen lernen möchtest!
Übersicht:
- Taktiktipps & Strategien für die Etappen
- Tipps zu Fitness & erforderlicher Leistung
- typischer Leistungsverfall während der TdK
- Wattwerte der verschiedenen Fahrertypen (Top, Mitte, Finisher)
- 5 Workouts zur Vorbereitung
Tour de Kärnten – was man unbedingt wissen sollte!
(Modus: Daniel fragt, Philipp antwortet)
Fangen wir vorne an: Bei insgesamt sechs Etappen sollte der Start natürlich wohl überlegt sein…
1) Welche Taktik lohnt sich für den Start der ersten Etappe?
Fahrer, die eine ganz bestimmte Platzierung anstreben, müssen natürlich versuchen, an der unmittelbaren Konkurrenz dranzubleiben. Solange dass nicht dazu führt, dass man sich bereits am ersten Anstieg völlig verausgabt, wird das bedeuten, dass man gerade am ersten Tag, auch mal über die Schwelle hinaus in den roten Bereich gehen muss.
Die Teilnehmer sind bei der ersten Etappe natürlich noch frisch und hier wird besonders geballert. Spätestens, wenn die Gruppen sich gefunden haben, wird das Tempo etwas gemächlicher.
Wenn man ab spätestens 50-60 km der ersten Etappe die Pace immer noch als sehr brutal empfindet, und an den Steigungen bei 110% fährt, ist man vermutlich zu weit gegangen.
Viel mehr als 90-95% (der FTP) sollte man dort nicht leisten müssen – als Durchschnittsleistung am Berg.Philipp Diegner
Als „Finisher“ sollte man von Anfang an eine nachhaltige Pace mit einigen Gleichgesinnten wählen.
D.h., am Anstieg unter der Schwelle bleiben (um die 90%) und in der Ebene eine solide Ausdauer- oder Tempo-Pace, bei der sich alle an der Arbeit beteiligen.
2) Mit Blick auf die folgenden Etappen, wie intensiv darf man maximal auf der 1. Etappe fahren?
Auf der ersten Etappe ist ein Intensitätsfaktor relativ zur Schwelle von 0.8 (IF=80%) ganz normal. Am ersten Anstieg ist es besonders intensiv, danach maximal an der Schwelle. Bei der Zielankunft wird dann nochmal gesprintet.
Im Gegensatz zu den vorigen Jahren findet das EZF in 2019 bei der 2. Etappe statt…
3) Muss man beim EZF ans komplette Limit gehen oder sollte man einen Puffer lassen?
Das hängt natürlich von den Ambitionen ab. Für einen Siegfahrer wie Mathias Nothegger hat das EZF einen anderen Stellenwert als für den „normalen“ Finisher.
Für die meisten Teilnehmer ist es jedoch empfehlenswert, zumindest ein paar Prozent der Leistungsfähigkeit zurückzuhalten. Eine Stunde am Limit wird sich auf die Folgetage merklich auswirken.
Natürlich gibt es Spezialisten mit genug Erfahrungswerten, die genau wissen, ob sie sich bis zur nächsten Etappen vollständig erholen können.
Es gilt: Lieber mit 95 als mit 100% fahren.
Im Jahr 2019 ist das EZF außerdem nicht mehr der Auftakt der Rundfahrt: Dadurch werden viele Athleten bereits mit etwas müderen Beinen von der Startrampe rollen.
4) Wie viel Watt haben die Topfahrer beim EZF in 2018 geleistet?
Die Fahrer unter den ersten 10 im Auftaktzeitfahren erbrachten im Jahr 2018 Wattleistungen zwischen 320 und 375W für ungefähr 50 Minuten (und damit in der Regel mind. 4.5 W/kg). Dabei erreichen sie Geschwindigkeiten deutlich über 45 km/h.
Etappensieger Martin Geretschnig fuhr die 39,5 km lange Strecke rund um den Ossiacher See in 50:06 min. mit 47.3 km/h und leistete im Schnitt 5.13 W/kg!
Damit muss er sich über eine solche Distanz hinter vielen Profis nicht verstecken!
Die weiteren Etappen und Profile könnt ihr bei der TdK sehen – an der Stelle empfehlen wir nochmal unseren Podcast mit Veranstalter Bernd Neudert, der in diesem Video alle Etappen beschreibt.
Schauen wir nochmal gesondert auf die letzte Etappe, das harte BZF – jetzt gilt es die Arbeit der vorigen fünf Tage zu vergolden!
5) Was können die drei verschiedenen Fahrergruppen (Spitze, Mitte, Finisher) beim finalen BZF noch an Watt leisten?
Selbst bei der letzten Etappe der Tour de Kärnten, dem Bergzeitfahren, leisten die Topfahrer noch jenseits der 4.5 W/kg und teilweise sogar jenseits der 5 W/kg. Die meisten Top-100-Fahrer erreichen Leistungswerte über 4 W/kg.
Weiter hinten in den Ergebnislisten ist die Erschöpfung häufig besonders groß – aber selbst mit 2.5 W/kg kann man noch eine solide Zeit erzielen.
Grundsätzliche Tipps & Infos vom Coach
Was sind die besonderen körperlichen Anforderungen der TDK?
Etappenrennen sind ein Sonderfall: Gegenüber anderen Jedermannrennen und Radmarathons sind neben der reinen Leistungsfähigkeit vor allem die Regeneration von Tag zu Tag und die richtige Einteilung der Kräfte während der einzel- nen Etappen extrem wichtig.
Denn geht man nur einmal zu weit in die Reserven, schafft man es in der Regel über den Rest der Tour hinweg nicht, sich vollkommen zu erholen.
Geht man nur einmal zu weit in die Reserven, schafft man es in der Regel über den Rest der Tour hinweg nicht, sich vollkommen zu erholen.Philipp Diegner
Das Resultat: Die Leistung geht bis zur nächsten Ruhepause erstmal in den Keller.
Und die TDK ist für Hobbyfahrer und Amateure eine ganz besondere Herausfor- derung – mit dem Charakter eines Profirennens. Insgesamt sitzen die Teilneh- mer an 6 Tagen für ungefähr 15 bis 20 Stunden im Sattel.
Dabei konzentriert sich der Hauptteil der Fahrzeit auf nur vier Straßenrennen. Dazu kommen zwei All-Out Efforts im Einzel- und Bergzeitfahren, die wiederum besonders intensiven Stress für den Körper bedeuten.
Hinzu kommt: Die härtesten, bergigsten Etappen kommen zum Schluss – und hier muss immer noch Leistung abgerufen werden können!
Deshalb ist die Regenerationsfähigkeit so IMMENS wichtig und sollte natürlich auch im Training vorher gezielt angegangen werden.
Wie viele Trainingskilometer sollten die diversen Leistungsbereiche (Spitze, Mittelfeld, Finisher) mit zur TdK bringen?
Trainingskilometer bzw. Trainingszeit ist ein wichtiger Indikator für das Fitnesslevel eines Ausdauersportlers Faktor.
Für Rennen wie die TDK lassen sich dafür je nach Ambitionen für die Gesamtwertung einige Richtwerte festlegen.
Die hier erwähnten Distanzen und Zeiten beziehen sich auf die Phase von Januar bis zum Start des Wettkampfs im Mai.
Würdiger Finisher
„Finisher“, denen es nur ums Ankommen geht: Mindestens 2.000 bis 3.500 km (Ca. 500-700 km pro Monat) oder 75 bis 125 Stunden.
Top 150-200 der Gesamtwertung (ambitioniert)
4000-6000 km oder 150-200 Stunden.
Topplatzierung (Top 50)
Hier kommen dann noch die Erfahrung im Radsport, Trainingsjahre und somit auch das Ausgangsniveau zum Beginn der Saison dazu. Wichtig sind dann auch die bereits absolvierten Wettkampfkilometer und mögliche Trainingslager im Anlauf zur TDK
Wie schaut ein typischer „Leistungsverfall“ bei der TdK aus? Wie viel % können die Teilnehmer im Laufe der Etappen weniger leisten?
Das Ausmaß des Leistungsverfalls hängt ebenfalls von der Fitness eines Fahrers ab.
Wie leistungsfähig ein Fahrer ist, beinhaltet nicht nur, wie viel Watt er an der Schwelle oder der VO2max treten kann, sondern auch, wie gut er sich erholt und wie häufig er wiederholt in den roten Bereich gehen kann.
Bei den besten Amateuren, die sich fast auf Profiniveau bewegen, kann der Rückgang über die 6 Tage der Tour deshalb sogar nur 3-5% betragen.
Viele „Neulinge“ erleben hingegen Einbrüche von bis zu 10-20%. Das ist auch nicht schlimm, denn: Mit jedem solchen Event wird der Körper deutlich besser darin, mit den wiederholten Belastungen, z.B. eines Etappenrennens, umzugehen.
Als Konsequenz aus der verbesserten Regenerationsfähigkeit kann langfristig auch härter trainiert werden, ohne sich völlig auszubrennen.
Welche Wattwerte muss man leisten?
Leistungswerte: Siegfahrer vs. Top 50-100 vs. Finisher
Die besten Starter bei der TDK leisten deutlich über 5 Watt pro Kilogramm (W/kg) an der Schwelle. Das traditionelle Bergzeitfahren zum Ende der Tour zeigt die Leistungsfähigkeit der besten Starter sehr gut auf:
Mathias Nothegger (Sieger 2018) leistete zum Beispiel beim finalen Bergzeitfahren auf den Dobratsch (15km mit 7.4% Steigung) der Tour ungefähr 5.5 W/ kg für 45 Minuten.
Ähnlich sahen die Werte beim Gesamtsieger 2017 aus, Klaus Steinkeller, welcher bei der vergleichbaren Etappe 2017 auf den Gerlitzen (12km mit 10.2%) für 45 Minuten 370 Watt leistete. Laut seinen Daten auf Strava waren das ebenfalls 5.52 W/kg.
Hier sind auch die Topfahrer schon merklich erschöpft. Im ausgeruhten Zustand wäre vermutlich noch etwas mehr drin!
An den ersten Anstiegen mehrerer Teilstücke kamen die beiden jeweils sogar auf 6 W/kg für 5 bis 10 Minuten. Das ist nicht mehr weit von vielen Radprofis entfernt.
Wie viel sollte man für die Top 50-100 in Kärnten leisten?
Für einen Platz im Vorderfeld sind je nach Rennverlauf 4-4.5 W/kg realistische Schwellenwerte. Auch solch starke Fahrer müssen sich das Rennen natürlich clever einteilen.
Interessant: Etwas schwerere Fahrer leisten vielleicht weniger relativ zum Gewicht, aber machen im flachen Zeitfahren zu Beginn der Runde häufig Zeit gut. Die leichteren Bergfahrer schlagen dann spätestens im Bergzeitfahren am letzten Tag zurück.
Für die Finisher:
Selbst weiter hinten platzierte Teilnehmer leisten in der Regel mind. 2.5 W/kg an der Schwelle. Die meisten kommen sogar eher einen Wert um die 3 W/kg – das ist vonnöten, um an den zahlreichen Anstiegen nicht zu viel Zeit auf die Konkurrenz einzubüßen.
Aber keine Sorge: Ein solches Leistungsniveau kann jeder nach einem Winter mit strukturiertem Training erreichen (siehe Philipps Trainingsplan für den Winter).
5 Workouts, die dich perfekt auf die Tour de Kärnten einstellen
Coach Philipp Diegner zeigt euch im Folgenden fünf Workouts (mit kurzen Erklärungen), die euch auf die Anforderungen eines anspruchsvollen Etappenrennens vorbereiten:
1) Intensive Startsimulation
Inhalt: 3x6min Intervalle mit je 90s bei 110% des FTP direkt übergehen in 4:30min bei 95%.
Damit simulieren wir die intensiven Starts bei der Tour de Kärnten, bei denen es stets im roten Bereich losgeht und dann eine hohe Pace gehalten werden muss. Auch der erste Anstieg der Etappen wird häufig auf diese Weise gefahren.
2) Bergintervalle
Inhalt: 3x10min stetige Intervalle bei 95% des FTP – die letzten 30s jeweils bei 105%.
Bei der Tour de Kärnten erwarten euch viele mittellange Anstiege, die mit hohem Tempo gefahren werden müssen. Dabei solltet ihr euch aber nicht zu lange im roten Bereich aufhalten, sondern stets die Schwelle im Auge behalten.
3) Zeitfahrbelastung
Inhalt: 1xca. 30min am Sweetspot: Die ersten 15min bei 90% und dann auf knapp 92% erhöhen.
Zeitfahren – über lange Zeit eine hohe Leistung im Schwellenbereich halten – ist eine Kerndisziplin für Etappenrennen. Idealerweise erreicht ihr dabei einen negativen Split und schafft es, in der 2. Hälfte sogar etwas mehr zu leisten, als im ersten Teil.
4) Lücken schließen
Inhalt: 4 Intervalle. Dabei je 5min bei 80-85% im Tempobereich und in den Belastungen alle 60s für 10s auf 150% des FTP beschleunigen. Danach ohne Pause zurück zur Tempopace.
Wettkampf heißt auch immer Gruppendynamik und Lücken zufahren, die im Wind oder nach Kurven aufgehen können. Aus bereits hohem Tempo ohne Pause harte Belastungen zu absorbieren zu können, ist dafür elementar.
5) Die Vorbelastung
Inhalt: Lockere Ausdauer um ca. 60% des FTP für bis zu 75min. Intensität sollte in der Fahrt bis auf die Vorbelastung vermieden werden. Dafür nach 15min für 1min bei 90-95% fahren und 5min später vier kurze, hochintensive Intervalle: 4×30-40s bei 150% des FTP und zwischen den Belastungen jeweils 5min nur locker Rollen.
Eine Vorbelastung am Vortag eines Rennens ist intensiv, ohne langfristig Ermüdung zu verursachen. Dadurch seid ihr am ersten Wettkampftag in der Lage, das Leistungsmaximum abzurufen.
Fotos: Bernhard Felder, Event Gucker, Nina Wallenborn (vorher: Elsässer)