Thomas Dekker war eins der größten Radsporttalente der Niederlande. Bereits als Teenager auf der Überholspur, gerät er mit 21 Jahren schließlich in die Hände von Fuentes. Von nun an kommt der Erfolg und das große Geld – dank ausgeklügeltem Doping – noch schneller. „Unter Profis“ gibt Einblicke in das schamlose Treiben und deckt auf, dass man auch in den Jahren nach der Operación Puerto vor nichts zurückgeschreckte.
„Dann schaltet er den Fernseher um, auf einen Pay-TV-Sender – ich sehe nacktes pumpendes Fleisch und höre es stöhnen. Steven (de Jongh) nimmt zwei Handtücher, wirft mir eins zu und sagt: «Erst mal einen runterholen».“
Du denkst dir gerade: WHAT THE FUCK???
Yep… exakt mein Gedanke beim Lesen der Thomas Dekker Biographie.
Ende Juni erschien das THOMAS-DEKKER-Buch „Unter Profis“ im Covadonga Verlag. Der Originaltitel des Buches lautet „Mijn Gevecht“ und ist von Thijs Zonneveld verfasst. Ich habe schon einige Biographien von Ex-Profis gelesen, dieses Buch ist mit Sicherheit – sorry für dieses überstrapazierte Wort – eins der krassesten.
Auf etwas über 200 Seiten, man liest das Buch in 2-3 Tagen schnell durch – nimmt eins der größten Radsporttalente, das die Niederlande jemals gesehen hat, kein, aber auch wirklich kein Blatt vor den Mund. Es ist eine Beichte, es ist ein Versuch wieder Gutzumachen, es ist absolut offenes Visier.
Dopingexzesse, Alkoholeskapaden und eine zweifelhafte Einstellung zu seinem Beruf, dieses Buch zeigt einem ungeschönt die hässliche Fratze des Sports – der hoffentlich vergangenen Jahre.
Meine Aufarbeitung der exakt 223 Seiten…
Über Thomas Dekker
Thomas Dekker (geb. 1984) wuchs wie so viele Ex-Profis in bescheidenen Verhältnissen auf. In Dirkshorn, ein kleiner Ort von noch nicht einmal 2.000 Einwohnern im Norden Hollands – mit reichlich Liebe der Eltern und überschaubaren finanziellen Möglichkeiten ausgestattet.
Die Eltern halfen, wo sie nur konnten. Ob im Training per Roller oder natürlich finanziell. Eine Investition, die smart erschien.
Mit 19 war er niederländischer Zeitfahrmeister (2004) und gewann im selben Jahr die Gesamtwertung der Thüringen Rundfahrt. Zwei Jahre später folgte der oberste Podestplatz bei Tirreno–Adriatico. In 2007 die Tour de Romandie. Dekker war der „neue heiße Scheiß“ am Radsportmarkt, geschaffen für die größeren Aufgaben – für sein Alter unglaublich schnell.
Bei einem „Aufnahmetest“, unter den Augen von Luigi Cecchini, braucht der junge Holländer auf den Monte Serra – südlich von Lucca – nur sechzehneinhalb Minuten – und 493 Watt. Cecchini ist zufrieden, damit kann er arbeiten. Nur Jan Ullrich und Francesco Casagrande waren schneller.
„Dekker und seine Teamkollegen fuhren energieriegelkauend bergauf an mir vorbei“
Auch David Binnig, Chefredakteur der RennRad und ehemaliger U23-Fahrer, machte Bekanntschaft mit Thomas Dekker. Bei der Thüringen Rundfahrt. Aus dem damaligen Rabobank Nachwuchsteam wurden laut Binnig alle Fahrer Profis. Sie fuhren alles in Grund und Boden, ihr Team auch. Zum Rabobank Nachwuchsteam gehörte neben Dekker auch Bernhard Kohl. Der Österreicher wurde 3. bei der Tour de France in 2008. Und später des Dopings überführt.
„Bernhard Kohl auf dem Podium beim bedeutendsten Radrennen der Welt? Das ist schlichtweg absurd. Er ist zwar gewiss ein ordentlicher Fahrer, aber wir wissen beide, dass er nicht ohne pharmazeutische Hilfe auf diesem Niveau fahren könnte“.
Thomas Dekker über Bernhard Kohl und den Einfluss des Dopings in der damaligen Zeit.
Aber auch er konnte nicht widerstehen. Doping bedeutet in der Regel mehr Erfolg und das bedeutet noch mehr Geld. Eine recht simple Logik. Mit 20 Jahren verdient er bereits 100.000€, als nachgebessert wurde, waren es schon 200.000€. Er war immer noch 20.
Das sollte aber nur der Anfang sein.
Über seine erste Begegnung als Juniorenfahrer mit Nibali…
„In dem Rennen lernte ich zum ersten Mal die italienische Armada kennen. Vincenzo Nibali, Giovanni Visconti, Santambrogio. Sie trugen alle identische Trainingsanzüge und identische Hüfttaschen mitsamt identischen Mobiltelefonen und sie hatten alle die gleiche arrogante Ausstrahlung. Ich war tief, tief beeindruckt.“
Über Lance Armstrong bei der Algarve-Rundfahrt…
„Im Schlussklassement wurde ich Vierter, er Fünfter. Nach dem Ende des Rennens brachen wir mit dem gesamten Peloton zum Flughafen auf. Alle bestiegen eine normale Linienmaschine, nur Armstrong stieg in seinen Privatjet.“
Über seine Affäre mit Elisa Basso…
„Elisa ist ein Vamp. Sie ist immer auf der Jagd. Sie hat eine Beziehung mit Eddy Mazzoleni, der in diesem Jahr für Saeco fährt. Aber sie treibt es mit jedem, höre ich später. Das ist mir egal.“
Über den Kortisonmissbrauch bei der TDF 2007…
„Mit dem Kortison können wir im Rennen mehr aus uns herausholen, mehr an die Substanz gehen. Und außerdem wird man schön mager davon: Ich wiege nur noch 68 Kilo bei 1,88 Meter Körpergröße – so dünn werde ich später nie wieder sein.“
Thomas Dekker und das Doping
Ich weiß nicht, was man alles nehmen kann. So wie es Dekker in seinem Buch schildert, war er aber verdammt dicht dran, alles zu nehmen: Eigenblut Transfusionen, EPO, Dynepo oder „läppisches“ Cortison.
Er war mittendrin statt nur dabei.
Denn nachdem er merkt, dass es trotz seines unglaublichen Talents, vor allem bei den großen Landesrundfahrten nicht mit einem Platz ganz weit vorne klappen will, beugt er sich dem Druck seines Beraters und Managers Jacques Hanegraaf. Dieser weiß laut Dekker, was funktioniert und nicht nachweisbar ist. Allen voran natürlich das Eigenblut.
So kommt es, dass Thomas Dekker im Februar 2006 erstmalig Bekanntschaft macht, mit Spaniens bekanntestem Frauenarzt: Eufemiano Fuentes. Wie man aus anderen Biographien und Dopingbeichten mittlerweile weiß, fanden die Treffen mit Fuentes in möglichst anonymen Lokalitäten statt. Auch in diesem Fall: Es ist der 10. Februar 2016, als Dekker im Madrider DIANA TRYP Hotel Fuentes trifft und seine erste Eigenblutbehandlung bekommt.
Der Beginn einer neuen Ära. Oder in Fuentes Worten: „Vamos, Thomas. Come, come.“
Er merkt, dass sich die Erfolge einstellen und ihm keine Sau auf die Schliche kommt. Das Resultat sind fette Autos, „schöne“ Frauen wie Elisa Basso, und ne Menge Geld – das muss ein verdammt geiles Gefühl gewesen sein. Er hält sich für unbesiegbar, er nimmt alles was geht.
2009 endet schließlich die rasante Fahrt, Thomas Dekker wird des Dopings mit Dynepo überführt. Übrigens wie Mannschaftskollege Michael Rasmussen, mit dem Dekker 2007 die Tour de France fährt. Im Gelben Trikot fahrend, nimmt ihn das Team Rabobank am 25. Juli aus dem Rennen. Rasmussen hatte mehrere Male seine „Whereabouts“, seine Aufenthaltsorte, verschwiegen. Der Druck wurde zu groß, Zuschauer am Rand der Strecke feindeten ihn an.
Absturz und Neustart
Dekker fällt so tief, wie nur einer fallen kann, der ziemlich weit oben war. Nachdem er seine Dopingsperre in 2011 mit reichlich Partys und Frauen absaß, probiert er sich nochmal für einen „Apfel und ein Ei“ in den Teams Chipotle Development Team und Garmin Sharp unter Jonathan Vaughters.
Er scheint geläutert, sein Ruf ist aber ruiniert; es gibt keine Teams mehr, die ihn zum alten Kurs verpflichten wollen.
Auch in den beiden eben genannten, spielt er keine ganz große Rolle mehr. Er merkt zwar, dass es auch einigermaßen ohne Doping geht, für ganz oben reicht es aber nicht mehr.
Im März 2015 endet also die Karriere eines Ausnahmetalents, das viel mehr hätte erreichen können. Aber ein Dekker tritt nicht einfach so ab, im Februar, einen Monat zuvor, scheiterte er nochmal knapp am Versuch, den Stundenweltrekord von Rohan Dennis zu überbieten.
Es sollte ein letztes Mal „Dekker-Time“ sein!
Fazit vom Thomas-Dekker-Buch
Warum soll ich das Buch lesen? Diese Frage stellte sich mir, als ich vor ein paar Wochen ein Rezensionsexemplar vom Verlag zugeschickt bekam. Schließlich kannte ich den Typen nicht. Hatte noch nie was von ihm gehört. Dekker? Wer soll das sein?
Er wurde in einer Zeit groß, als Radsport-Deutschland im Begriff war, in die Knie zu gehen. Es war die Zeit, als Jan Ullrich abtrat, als es richtig schmutzig wurde.
Und es war nicht mehr meine Zeit. Mit dem Rücktritt von Ulle war für mich das Kapitel Radsport als „aktiver“ Zuschauer beendet. Vorerst. Wem sollte ich noch folgen? Ich war noch Lichtjahre davon entfernt, selbst mal in die Pedale zu treten.
Als ich also vor ein paar Wochen das Buch in den Händen hielt, weckte jedoch ein anderer Aspekt meine Neugierde: Es war vor allem die Zeit NACH Jan Ullrich – dieser Punkt interessierte mich wiederum sehr. Denn es stellte sich mir die Frage, hat denn hier keiner was daraus gelernt? Machten die ganz ungeniert so weiter?
Die Frage klingt naiv, ist es sicherlich auch – die ungeschönte Antwort liefert das Buch: Ja, es wurde in den Jahren danach noch munter beschissen. Erst mit der Einführung des Blutpasses (biologischer Pass), so Dekker, schien sich das Verhalten zu bessern.
Aus diesem Grund ein echter Lesetipp für alle, die einen Blick in die damalige Zeit – Mitte der Nuller – werfen möchten.
Das Buch lässt sich einfach lesen, es ist geradlinig und kurzweilig geschrieben.
Macht euch auf was gefasst.
Weiterführende Links:
– das Thomas Dekker Buch bei Amazon kaufen (Link)1
– Charly Wegelius Buch „Domestique“ (Link)
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