Die Spannung war groß. In den letzten Wochen wurde ja einiges an Tamtam um den neuen Lance Armstrong Film „The Program“ gemacht – entsprechend hoch hing die Latte. Der Film, basierend auf dem Buch „Seven Deadly Sins“ von David Walsh, beschreibt das Dopingsystem um Lance Armstrong in seiner ca. 10-jährigen Regentschaft im Profi-Radsport. Was würde man Neues erfahren? Welche Einblicke hinter die Kulissen würde einem Regisseur Stephen Frears gewähren? Eins kann ich vorweg nehmen: Ein grundsolider Film mit einigen guten Passagen bis auf die Doubles von Andi Klöden und Alberto Contador – die sahen eher aus wie zwei Witzfiguren…
Wer war bitte nicht fasziniert von dieser Story? Lance Armstrong, der amerikanische Held – vom Sterbebett zum siebenmaligen Tour de France Gewinner. Packende Duelle mit anderen Größen des Radsports wie Jan Ullrich, Marco Pantini und Co., welche der Texaner in der Mehrzahl der Fälle für sich entscheiden konnte, fesselten Ende der Neunziger bis Mitte der „Nuller“ Millionen von „Fans“ vorm TV. Größtenteils Menschen, die bis dato mit Radsport noch nichts zu tun hatten – Lance Armstrong sorgte durch seine „übermenschlichen“ Heldentaten dafür, dass sich der Radsport von einer europäischen Randsportart in eine globale Attraktion verwandelte. Millionen Menschen waren fasziniert. Millionen Menschen trugen die gelben Bänder ums Handgelenk. Millionen an Dollar wechselten alle möglichen Besitzer. Und die UCI mittendrin.
Nun ja, alles hat einmal ein Ende. Der Niedergang von Lance Armstrong und seinem bis ins letzte Detail organisiertem System ist bekannt. Fast drei Jahre nach seinem Auftritt bei Oprah Winfrey, wo er alles – im Gesicht fummelnd und zähneknirschend – gestand, bringt nun Regisseur Frears den Film raus, der diese Entwicklung in 103 Spielfilm-Minuten aufzeigt.
Darum geht’s in „The Program“
Der Film startet wie ein typischer Lance-Armstrong-Antritt bei einer seiner Bergattacken. Kein großes Geplänkel – lieber gleich in die „Fresse“. Ich glaube es hat keine 5 Minuten gedauert, da stand Lance Armstrong, zu Beginn seiner dopingfreien Karriere natürlich noch ein Durchschnittsfahrer, im Rahmen eines belgischen Rennens schon im Wohnwagen des berüchtigten Doping-Arztes Dr. Ferarri. Armstrong sah ein, dass er keine Chance hatte, clean gegen die europäischen Konkurrenten zu bestehen. Dr. Ferrari, täuschend ähnlich dargestellt von Guillaume Canet, nahm den jungen überehrgeizigen Texaner unter seine Fittiche und fügte mit seinem Knowhow, die noch fehlende Zutat zum teuflischen Cocktail hinzu, die Armstrong brauchte, um das perfekte System aufzusetzen:
Er, der Hauptdarsteller, sein höriges Team als die unterstützenden Vasallen, seine Leidensgeschichte als die perfekte Marketingstory und Dr. Ferrari als das Genie hinter den Kulissen. Dr. Ferrari züchtete Armstrong, in Frankenstein-Manier, zur absoluten Kampfmaschine heran. Alles ist kalkuliert, alles ist geplant. Das Essen bis auf das letzte Gramm abgewogen, die Tröpfchen bis auf den letzten Milliliter dosiert und die EPO-Spritzen wohl temperiert im Kühlschrank – bereit für den nächsten Tauchgang in die Venen.
Armstrong bekommt von Dr. Ferrari damit das perfekte sportmedizinische „Premium-Paket“: Er muss nur noch in die Pedale treten und das Peloton kontrollieren. Für einen Tyrannen wie Armstrong natürlich eine Herzensangelegenheit.
Der Hauptteil des Films ist eine Art Schnelldurchlauf der Jahre, in denen Lance Armstrong die Tour de France mit seinem blauen US-Postal-Zug nach Belieben dominierte. Seine furchtbare Krebs-Leidenszeit wurde im ersten Drittel des Films thematisiert. Sie unterbricht im Prinzip die ersten anfänglichen Dopingjahre von der anschließenden Dominanz bei der Tour de France zwischen 1999 und 2005.
Die Protagonisten und ihre entsprechenden Rollen während der Armstrong-Regentschaft:
- Johan Bruyneel: Team Manager
- Frankie Andreu (und seine Frau Betsy): Zuerst dopender Teamkollege, dann mutige Gegner vor Gericht
- Bill Stapelton: Manager und Berater
- Emma O’Reilly: Kurze Zeit als Masseurin engagiert, sie belastete ihn später schwer
- Floyd Landis: Zuerst Teamkollege, später sorgte er maßgeblich dafür, dass das System Armstrong aufflog
- David Walsh: Journalist der London Sunday Times – der einzige, dem der Wandel vom Durchschnittsfahrer zum Dauersieger spanisch vorkam
- Dr. Ferrari: Dopingarzt – natürlich aus Ferrara
Bevor ich mir den Film angeschaut habe, hatte ich mich noch gefragt, wie weit die Fahrer der damals konkurrierenden Teams wie unter anderem Team Telekom behandelt werden – mit ihnen hatte sich Armstrong ja jahrelange Schlachten geliefert. Aber außer irgendwelchen magentafarbenen Trikots im Peloton werden die deutschen Fahrer um Jan Ullrich und Andi Klöden so gut wie gar nicht thematisiert. Insbesondere bei der Besetzung des Klöden-Doubles haben die Filmemacher mal gewaltig ins Klo gegriffen. Alleine die Szenen, wo Armstrong auf den Podien der Siegesfeiern in Paris gezeigt werden, erinnern an alte King Kong Zeiten – zu offensichtlich, dass die Aufnahmen vor einer knallblauen oder -grünen Wand gedreht wurden. Was man sich aber bei der Besetzung des Andi Klöden Darstellers gedacht hat, frage ich mich heute noch.
„Ey, du da hinten an der Bushaltestelle. Ja genau du mit den dunklen Haaren und der kleinen Wampe – komm mal her, wir drehen gleich einen Film…!“
So stelle ich mir in etwa das Casting von Klöden vor – Tatort Bushaltestelle um die Ecke. Hauptsache dunkle Haare. Da hätten sie auch mich mit Perücke auf das Podest stellen können. Aber auch die Besetzung von Alberto Contador regt zum Lachen an. In diesem Fall aber: Hauptsache, eine durchgehend dicke Augenbraue.
Fazit von „The Program“
Für alle Radsport-Fans ist der Blick hinter die Kulissen sicherlich mal sehr spannend, sollten die Dialoge tatsächlich so abgelaufen sein. Besonders interessant wäre es natürlich, den Film mal mit Lance auf seinem schönen großen beigen Sofa in Texas zu gucken, umrahmt von den sieben Gelben Trikots. Er auf dem Westflügel des Sofas, die Beine lässig hochgelegt, kaugummiknätschelnd – ich auf einem Holzstuhl neben ihm, Apfelstücke für ihn schälend:
„What??? Are you kidding me? Daniel, C’ mon – I didn’t say that to Simeoni. I was more like: F*CK o** you Italian ****!!! *** , F*CK, **** motherf*cker!!! ** F*CK ***!! F*CK, cock*****, ***!!!! **Mother!!! “
Armstrong gespielt vom Hauptdarsteller Ben Foster kommt aus meiner Sicht durchaus gut rüber – alleine optisch in manchen Kameraeinstellungen sehr nah dran am Original. Was Optik anbelangt, besteht auch bei Floyd Landis (irgendwie ein blonder Matt Damon mit Truckerbärtchen) große Ähnlichkeit zum Original.
Nun gut, zurück zum Film und zur Handlung: Wer die Bücher von z.B. Tyler Hamilton und David Millar gelesen hat, den überrascht bzw. schockiert in dem Film nichts mehr. Alle Dopingpraktiken und -orte sind bekannt: vom Teambus, über Ferraris Wohnwagen bis zu irgendwelchen halbseidenen Hotels in den Alpen – groß was Neues ist für all die gut Informierten unter Euch also nicht mehr dabei. Das einzige, was für mich jetzt neu war, ist die unglaubliche Tatsache, dass Armstrong bei seinem Tour de France Comeback 2009 immer noch nicht aufhören konnte zu dopen!!! Das muss man sich mal vor Augen führen: Der Mann war da schon 37 Jahre alt, hatte bereits 7 mal die Tour de France gewonnen und tut sich diesen Mist immer noch an!! Wahnsinn!!!
Wenn man den Film in zwei Hälften teilt, muss ich klar sagen, dass die erste Hälfte noch deutlich interessanter ist. Grund: Armstrong sucht den Kontakt zu Ferrari auf und man ist hautnah mit dabei ist, wie er sich vom „Platz-39-Fahrer“ zur Top-Bergziege und Top-Einzelzeitfahrer transformiert – das ist schon beeindruckend und schockierend zugleich. Dr. Ferrari, das wissenschaftliche Genie hinter Armstrong, überzeugte mich ebenfalls schauspielerisch. Menschlich nicht so.
Die zweite Hälfte des Films habe ich persönlich als inhaltlich sehr „dünn“ empfunden. Es plätscherte so ein bisschen dahin. Die sportlichen Szenen der Tour de France hat man allesamt schon mal irgendwo gesehen – früher bei der ARD, heute auf Youtube. Interessant wird es dann allerdings, als Armstrong den Kardinalfehler begeht, Floyd Landis den Rücken zuzuwenden – der Anfang vom Ende. Hier hätte Regisseur Frears aus meiner Sicht mehr Tiefe reinbringen können. Der finale Niedergang des Systems Armstrong erfolgt dagegen im Schnelldurchlauf.
Unterm Strich ist der Film durchaus interessant für alle Radsport-Fans, die in der damaligen Zeit mit dem Velo-Virus infiziert wurden – neue interessante Informationen gibt es in dem Film allerdings nicht. Oder anders gesagt: Netter Zeitvertreib für einen kaltnassen Herbsttag – in 10 Jahren redet aber keine Sau mehr drüber. Also über diesen Film – über Armstrong reden sie wahrscheinlich noch in hundert Jahren.
Schulnote drei, setzen!
1 comment
[…] das Video zwischenzeitlich wieder von Youtube entfernt! Ich empfehle aus aktuellem Anlass meine Rezension zum Film „The Program“ hier […]
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