Mit dem Rennrad 300 km zu fahren, ist verrückt. Mit dem Rennrad 300 km nachts zu fahren, ist noch verrückter. Wer das Ganze dann noch mit einem 36er Schnitt macht, der ist einfach nur f*cking Rock ‘n Roll. Bastian Marks war mehr als eine würdige Vertretung für mich beim Canyon Night Ride 300, an dem ich aus Termingründen leider nicht teilnehmen konnte. Wie es ihm dabei erging, beschreibt er auf sehr illustre Art und Weise in diesem Gastbeitrag.
Es ist 14 Uhr an einem Samstag, ich schiebe meine Oropax in die Ohren und stelle den Wecker auf 20 Uhr. Ein ganz normaler Samstag.
Warte! Nein. Irgendwas stimmt nicht.
Zu was hab ich mich hier bitte breit schlagen lassen???
Daniel rief mich vor einer Woche an, er kam über einen gemeinsamen Bekannten auf mich zu. Nach kurzem überlegen sagte ich zu, den Canyon Nightride 300k an seiner Stelle zu fahren. Da ich schon öfter über 300 km gefahren bin, war nur die Tatsache, dass die Nummer nachts abläuft, schwierig für mich vorzustellen.
Naja, doof wie ich bin, war ich dann doch recht schnell begeistert und die Vorfreude stieg. „Do crazy shit. All day everyday!“
Von Köln nach Koblenz: 118k
Es ist der Tag des Nightrides. Am Morgen bin ich noch 75 km mit zwei Kumpels gefahren, habe gegessen und liege nun im Bett. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass der Versuch, einfach so um 14 Uhr zu schlafen, kläglich scheitert.
Somit mache ich mich um 20 Uhr, nach 4 Stunden Rumgelungere, auf den Weg von Köln nach Koblenz und überlege, welchen Typus Radfahrer ich dort wohl treffen werde.
Freaks? Ultracyclists? Die bekannten Marathonisti? Alle zusammen?
Ich bin grundsätzlich öfter im Renneinsatz, weiß auch, dass Langstrecke mir gut tut und plane somit ca. 10 Stunden Grundlage ein. Bei Canyon angekommen, trifft man schon das ein oder andere bekannte Gesicht: Radpack-Jungs und Kölner Langstrecken-Legenden. Okay, das wird Spaß.
Canyon Night Ride 300 um 23 Uhr – let’s do this!
Ich stelle mich in die erste Gruppe, die um 23 Uhr startet, ca. 50 Fahrer/innen, die einen Schnitt über 35 anpeilen.
„Roll easy mit, Bastian, Windschatten wird gutes Grundlagentempo sein“, denke ich. Und so geht’s auch los. Ich bin hinten in der Gruppe und unterhalte mich lustig mit Harald vom Radpack.
Doch die ersten beiden Stunden ziehen sich. Es ist kalt, ein Grundtempo von 37 bedeutet im Dunkeln doch eine hohe Konzentrationsleistung in der Gruppe und ehrlich gesagt, ist der Spaßfaktor doch recht niedrig. „Was machst du hier eigentlich?“
Selbstgespräche. Mehr nicht. Puls 110. Naja.
Nach einer mini Pause bei Kilometer 85 passiert aber etwas. Die Gruppe hat sich geteilt und die schnellere Hälfte, in der ich mich befinde, beginnt die Langweile mit Tempo zu bekämpfen. Und da ich mich vorne in der Gruppe befinde und mein Körper nicht so genau weiß, was er bisher eigentlich machen soll, gehe ich mit in die Führung.
Mein Partner in der Zweierreihe ist Fritz vom Radpack, der merklich mehr Watt treten kann als ich. Die Tachonadel steht bei 43, es tut ein bisschen weh.
So geht’s weiter bis zum Wendepunkt bei Kilometer 150. Ich habe viel zu wenig gegessen, weil wir keinen der Verpflegungspunkte angesteuert haben und verschlinge jetzt warme Suppe und Waffeln. Lecker. Danach Stempel abholen und GO!
Die Jungs sind motiviert. Ich muss erkennen, dass ich mich psychisch falsch eingestellt habe und jetzt so langsam mal ein paar Kräfte frei räumen muss in den hinteren Bereichen meines Kopfes.
Das mache ich und es läuft.
Die Frage nach dem Warum
Wir sind ca. 30 Mann und das Tempo bleibt hoch. Es wird hell und ich beginne wieder zu überlegen, was wir hier eigentlich machen – und warum.
Warum fährt man 300 km Fahrrad??? Nachts??? Schnell???
Man will einen Punkt klar machen. Wir sind anders! Anders als die Masse. Wir sind Punks! Punks des modernen Alltags. Fuck The System! Wir fahren so lange, wie ihr es euch nicht vorstellen könnt. Und schnell! Und nachts! Warum? Weil wir es können. Und wollen. Und uns gegenseitig unterstützen.
Dafür liebe ich die Fahrradszene. Es gibt so unterschiedliche Charaktere, so unterschiedliche Herangehensweisen an die Sache, aber man gehört zusammen, man passt aufeinander auf, man hilft sich.
In der Gruppe fährt ein schätzungsweise 70-jähriger mit. Ein Freund von Fritz Vater. Er muss kämpfen, aber er ist dabei. Grandios! So etwas macht mich stolz auf diese Community.
Meine Gang rollt in den Sonnenaufgang und nun fallen die letzten Barrieren: Kilometer 240: 43-45 km/h. Einer-Reihe. Renntempo. Nach 240km.
Ich muss gestehen, ich bin ganz schön angebumst, aber was soll’s.
Ich geh mit.
Belohnung für den Canyon Night Ride: Stolz
Man hat bereits Stolz im Hinterkopf. Man hat hier was geschafft, was etwas Besonderes ist. Das treibt. Die Skepsis der Anfangsstunden ist weg. Der Nebel über der Mosel ist die perfekte Kulisse für uns Gladiatoren der Straße. Unsere Gang.
Ich denke jeder Teilnehmer fühlt diesen Stolz. Uns kamen auf dem Rückweg noch drei sehr große Gruppen entgegen. Ich dachte hier stehen 40 Hansel am Start. Aber es sind so viel mehr. Die Szene wächst. Das ist der beste Sport!
Im Ziel, das ich nach einem Platten auf den letzten 20 km etwas nach meiner Gruppe erreiche, steht ein „über 36er Schnitt“ zu Buche: 8:19 Stunden auf 300 km nachts.
Haha. „Do crazy shit. All day, everyday!“
Wir lachen, essen sehr viele belegte Brötchen, die die Organisation stellt. Guten Kaffee gibt’s auch. Wir sind alle glücklich. Und tot.
Den weiteren Sonntag verbringe ich auf der Couch, abwechselnd schlafend und essend.
Ich muss gestehen: es war ne geile Nummer und ich bin froh dabei gewesen zu sein.
Zufrieden stecke ich mir die Oropax wieder in die Ohren.
(c) Fotos im Artikel: Canyon Bicycles GmbH